Müllschlucker der Nation erstickt

■ Der DDR droht der Abfallnotstand - 15.000 wilde Deponien werden kurzerhand zu offiziellen Müllkippen erklärt / Das lädierte Recyclingsystem könnte den Entsorgungskollaps auslösen

Berlin (afp/taz) - Wer Konsum will, muß auch Müll ertragen. Seit die Segnungen des westlichen „Ex und hopp“ auch Sachsen, Mecklenburg und Thüringen erreicht haben, fahren Müllabfuhr und Stadtreinigung Sonderschichten. Die Abfallberge in der DDR wachsen sich immer mehr zum Gebirge aus, der Notstand ist vorprogrammiert. Allein im Monat Juli mußten die Ostberliner Müllmänner rund 25 Prozent mehr Abfall als noch vor einem Jahr einsammeln. Die Tendenz ist steigend. Das DDR-Umweltministerium rechnet mit einer Verdreifachung des Müllvolumens in nächster Zeit, das gegenwärtig bei 91 Millionen Tonnen jährlich liegt.

„Die zweihundert geordneten Deponien sind jetzt schon so gut wie randvoll“, warnt Pressesprecherin Monika Litwin. In zwei bis drei Jahren seien die Aufnahmekapazitäten vollkommen erschöpft. Besonders im Grenzgebiet stapeln sich die Verpackungen aus dem Westen. Die Kommunen weigern sich, weiterhin den Müllschlucker der Nation zu spielen. Bisher wurde die stinkende Fracht nach zentraler Anweisung verschickt. Nun führt der Mangel an Lagerfläche zu Notaktionen, bei denen sich nicht nur westlichen Umweltschützern die Haare sträuben.

Die rund 15.000 wilden Müllkippen in der DDR sollen kurzerhand zu offiziellen Deponieplätzen erklärt werden, kündigt Monika Litwin an. Was dort seit Jahren lagert, weiß niemand genau. Immerhin, so die Pressesprecherin, werde demnächst ein modernes Verfahren für Bodenuntersuchungen zum Einsatz kommen, um dem Inhalt der Wald- und Wiesendeponien auf den Grund zu gehen. Nicht nur die heimischen Abfälle müssen untergebracht werden. Allein aus West-Berlin kommen zusätzlich etwa eine Million Tonnen Hausmüll, die dort nicht entsorgt werden können. Seit von DDR-Seite die jahrelangen Anlieferungen von Sondermüll gestoppt wurden, ist nun auch für den Westberliner Senat kein Land in Sicht. Nach verzweifelter Suche wies die Stadt für weitere fünf Jahre eine Zwischenlagerfläche mitten im Stadtbezirk Reinickendorf aus.

„Prinzipiell“ bestehe bei Sondermülldeponien immer ein Risiko für die Bevölkerung, gesteht auch Claudius Rapsch vom Westberliner Referat für Abfallwirtschaft ein. Doch die Notlösung des Senats in einer ehemaligen Kupferraffinerie erreiche Sicherheitsstandards, die in Europa einmalig seien. Der totale Müllnotstand in Ost und West rückt näher, wenn das Recyclingsystem der DDR zusammenbricht. 130.000 Tonnen hat allein der Berliner Sero-Betrieb (Sekundärrohstoffe) im letzten Jahr vor dem Müllschlucker bewahrt.

Jetzt droht dem flächendeckenden Aufkaufsnetz für Papier, Glas, Blech und Textilien der Zusammenbruch. Die finanziellen Mittel seien „sehr, sehr eng“, beschreibt Geschäftsführer Dirk Elze die wirtschaftliche Misere des Unternehmens. „Ab September kann möglicherweise nichts mehr aufgekauft werden“, befürchtet er und verweist darauf, daß sich schon jetzt Papier- und Glasberge in den Sammelstellen türmen. Der Aufkauf durch die DDR-Industrie ist ins Stocken geraten. Wenn nun nichts passiere, dann müßten zigtausend Tonnen von Sekundärrohstoffen auf die Halde wandern, befürchtet Elze. „Nachher kostet's sowieso Geld - auf der Deponie“, so der Sero-Geschäftsführer an die Adresse der politisch Verantwortlichen, deren Bemühungen zur Rettung des maroden Betriebs seiner Meinung nach nicht ausreichen. Hilfe könnte - wie andernorts auch - nur aus dem Westen kommen, wo verschiedene Unternehmen gerne zu Sero-Partnern werden würden.

Vorerst versucht der Staat, den Hebel bei der Müllproduktion anzusetzen: Die DDR-Verpackungsordnung liegt fertig in der Schublade. Danach sollen Einwegverpackungen mit Pfand belegt und die Hersteller zur Rücknahme gezwungen werden. Das harte Durchgreifen gegen die Müllflut trägt derzeit schon erste Früchte. Verschiedene Hersteller und Händler von Blechbüchsen haben mit der Umstellung auf Mehrwegflaschen begonnen. „Der Bürger hat wenig Interesse, solange der Müllmann seine Abfälle mitnimmt. Der Produzent muß in die Pflicht genommen werden“, befindet Monika Litin im Umweltministerium.

asw