piwik no script img

Karneval der Kugeln

 ■ Wie das Theater in Rumänien die Revolution mitinszenierte

Von Richard Crane und Faynia Williams

ICH! ICH! ICH!

Der einzig wahre Rumäne bin ICH!“

Die lachende, singende, tanzende Marionette geht zu Boden, als sei sie von einem Kugelhagel getroffen. Die Ceausescus, wahre Patrioten, sehen von der Präsidentenloge aus zu, in üppige Kostüme gekleidet und die Gesichter hinter Masken versteckt. In einer weiteren Loge sitzt der riesige gummiköpfige Polizeichef, flankiert von einem Schokoladensoldaten der Securitate, und schäumt vor Empörung. Das Stück heißt Karneval in Iasi, vorgeführt wird es im Nationaltheater von Cluj. Das Datum: 1.Dezember 1989, 21 Tage vor der Revolution.

An anderen Orten Rumäniens erwarten Zuschauer nichts anderes als codierte Botschaften im Theater: Hamlets Dänemark ist gleich Rumänien, Dracula pfählt sich durch die Zeiten bis zur Gegenwart. Dieses Stück ist das erste, das die Diktatur direkt angreift.

Der erste Aufzug zeigt Pere und Mere Ceausescu, wie sie angesichts des Schauspiels von neuer Öffentlichkeit und drohender Revolution vor Angst und Schrecken übereinanderstolpern. Der zweite Aufzug besteht aus einem Dauerbeschuß von Vaudeville-Auftritten, in der ein einziger Schauspieler das Publikum mit einem Feuerwerk von Wahrheiten begeistert.

Nur drei Männer im Publikum verziehen keine Miene. Der Hauptzensor, ein General der Armee und der Erste Parteisekretär sind anwesend, „um sicherzugehen, daß man sich auf der Bühne auch an den vorgegebenen Text hält“.

Aber das Theater hat sie ausgetrickst. Man hat ihnen wahrheitsgemäß erzählt, daß es sich hier um ein klassisches Stück des moldauischen Dramatikers Vasile Aleesandri handelt, das zuerst 1845 aufgeführt wurde; ihrem Mißfallen über die Art, wie dieser Text hier interpretiert ist, kommen die Buffo-Schauspieler in den Logen zuvor, und wann immer auf der Bühne allzu Wahres allzu klar geäußert wird, werden die Sätze von im Publikum plazierten Schreiern übertönt.

Cluj ist ein stilles Universitätsstädchten in Transsylvanien. Seine uralten Gebäude sind noch in Ordnung, denn die Stadt konnte sich - mit knapper Not - vor der Heimsuchung durch Ceausescus brutaler Industrialisierung retten. „Wir sind 45 Jahre durch ein Meer von Dunkelheit gesteuert“, sagt Victor Frunza, künstlerischer Direktor des Theaters und Regisseur von Karneval in Iasi. Er spricht über Mut und Verantwortung des Künstlers und von der politischen und gesellschaftlichen Mission seines Theaters ein kleiner, ernsthafter Mann, 32 Jahre alt, mit einem stillen Lächeln und müden Augen. „Wir haben nichts als unsere Begabung. Wir sind friedliche Menschen. Unsere Kanone ist das Theater.“

Am Premierenabend von Karneval hat er diese Kanone abgefeuert: eine Explosion von Licht und Ton, Groteske, Pantomimen-Kostümen, schreiend-bunte, sich überschlagende Bilder, monströses Spiel.

Im Zentrum des Stückes steht der jährliche Karneval am Ende des Winters in der Moldauhauptstadt Cluj, Iasi: eine Mischung aus Epiphanie und Kindergeburtstag, eine Erinnerung an die vorchristlichen Weisen und das Massaker der unschuldigen Kinder, und Mardi Grass, ein Taumel vor der Fastenzeit. Es war ein Narrenfest, an dem einmal im Jahr unter dem Schutz von Kostüm und Maske die Wahrheit ausgesprochen werden konnte.

Die erste Aufführung des Stücks nahm die Moldaurevolution von 1845 vorweg. Die Produktion von Cluj wurde zum Funken für die Revolution vom 21. Dezember 1989. Es war eine Parade flagranter, triumphaler Frechheit, ein bestaunenswerter todesverachtender Sprung über den Rubikon und stellte das Theater auf selbstmörderische Weise in die Frontlinie der Revolution, qualifizierte Cluj für das Endspiel noch vor Temeswar.

Am Abend des 6. Dezember befand sich Adriana Brand, die Bühnen- und Maskenbilderin für Karneval in Iasi, in der St.Michaelskirche mitten in der Stadt. Ein ungarischer Priester predigte, durch seine Worte provoziert, betrat eine Gruppe von Offiziellen die Kirche und knipste das Licht aus. Der Priester sprach weiter: „Wir haben schon zu lange Dunkelheit erduldet. Die Zeit ist gekommen, sie mit unserem Licht zu bekämpfen.“ Und trotz der Dunkelmänner in allen Ecken zündete er eine Kerze an.

An diesem Wochenende wurde eine Demonstration in Iasi brutal niedergeschlagen. Am 16.Dezember massakrierte man Hunderte in Temeswar.Karneval in Iasi wurde weiter aufgeführt, bis am 19.Dezember der Befehl zur Theaterschließung kam. Die Nachrichten aus Temeswar verbreiteten sich, und das Theater ging auf die Straße. Am 21.Dezember waren gerade zwei Schauspieler vom Bukarester Bulandra-Theater, Victor Rebengiue und Ion Caramitru, für einen Rezitationsabend in Cluj. Rebengiue sprach vom Balkon seines Hotelzimmers zur Menge, die sich auf dem Platz versammelte, Caramitru eilte zurück nach Bukarest, um dort den Angriff auf das Fernsehzentrum zu leiten.

Auch im südwestlichen Craiova setzten sich zwei Theaterleute an die Spitze des Angriffs auf das Parteigebäude - der Regisseur von Marin Sorescus StückVetter Shakespeare und der Schauspieler, der in dem Stück den Shakespeare spielte. Im Bukarester Komödientheater wurden die Proben zu Paul EveracsProtokoll unterbrochen, und der Regisseur, der gerade noch über die politische Dimension des Stückes gestritten hatte, ging auf die Straße und beteiligte sich direkt an der Schlacht, die da zu schlagen war. Und in einer Seitenstraße des Freiheitsplatzes in Cluj stellte sich ein junger Schauspieler vom Nationaltheater, Calin Nemes, einer Phalanx von Soldaten - jungen Wehrpflichtigen, seinen Landsleuten in den Weg, knöpfte sein Hemd auf und rief: „Wenn ihr es wagt, dann schießt doch!“ Er wurde in die Nieren getroffen und kam, als wir ihn im Februar trafen, gerade nach 48 Tagen aus dem Krankenhaus zurück.

„Ich bin schließlich Schauspieler“, sagte er. „Ich spüre, was die Leute wollen. Sie wollen lachen, sie wollen tanzen, sie wollen singen. Sie warteten darauf, daß einer anfing...“ „Aber was jetzt?“ fragten wir ihn. „Was soll das Theater jetzt machen? Nachdem es seinen Schuß abgefeuert hat - was soll jetzt seine Rolle sein im neuen Rumänien?“

Victor Frunza erklärte uns, daß das Theater zwei Arten von Mut beweisen muß: den Mut, Veränderung zu initiieren, und dann auch den Mut, seine politische und gesellschaftliche Mission weiter auszuüben. „In der Revolution ging es um Utopien und Wunder. Jetzt geht es darum, neue Bilder zu finden und Theater Teil dieses Lebens sein zu lassen. Wir haben es hier mit einer flüchtigen Kunstform zu tun, die nicht leichtsinnig eingesetzt werden darf. Wir nehmen keine feste Position in der Gesellschaft ein; wir sind bloß Künstler... Aber die Zukunft wird Konkurrenz bringen. Wir brauchen Experten, Professionelle, eine europäische Perspektive. Es gibt eine neue Generation von Regisseuren, deren Kraft sich aus der Revolution speist. Bisher war es unser größtes Glück, unter schlimmsten Bedingungen wenigstens arbeiten und überleben zu können. Jetzt liegt die Strecke, die vor uns liegt, nicht mehr im dunkeln, aber es gibt viele neue Probleme und Gefahren. Einen gemeinsamen Nenner hat das, was vor und nach der Revolution von uns kommt, jedoch jetzt schon: auf der Wahrheit zu bestehen.“

Nach Cluj waren wir von Tirgu Mures aus gekommen, wo wir mit der ungarischen Schauspielerin Adam Erszebet den Abend verbracht hatten. Sie war bisher sowohl in rumänischer als auch in ungarischer Sprache erfolgreich aufgetreten - jetzt wollen beide Gemeinden sie nicht mehr haben, und sie kriegt keine Engagements mehr. Regelmäßig werden die Fenster ihrer Wohnung von ungarischen Nationalisten eingeworfen. In ihrem Schlafzimmer hat sie inzwischen eine ansehnliche Sammlung von Steinen. Sie nennt sie ihre „Skulpturen“: Zeichen dafür, daß mit der Freiheit, die Tyrannei zu zerschlagen, auch die Gelegenheit gekommen ist, die Fenster der Nachbarin zu zerschlagen - und ihre Existenz womöglich dazu.

Faynia Williams ist Theater- und Filmregisseurin und Zweite Vorsitzende des Regisseurverbandes von Großbritannien (Director's Guild of Great Britain). Richard Crane ist Stückeschreiber und Theaterschauspieler.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen