Ein heißer Rock-Sonntag auf der Rennbahn Weißensee

■ Am stark besetzten zweiten Open-air-Tag kämpften die Toten Hosen, Gary Moore, Simple Minds gegen die Rockmetapher Tina Turner an

Berlin. „Bumsen, ficken, blasen - das alles auf dem Rasen“, wie der Lead-Sänger von den Toten Hosen es fordert, lief gestern nicht - Rasen wächst nämlich nur spärlich auf der Radrennbahn Weißensee. Dennoch waren auch gestern mehrere Zehntausend aus Ost und West gekommen, um den von der Ostberliner Agentur Power Music, RIAS2 und anderen veranstalteten Open-air-Festival in der Ostberliner Radrennbahn Weißensee beizuwohnen. Bei strahlendem Sonnenschein drängten sich buntkarierte Decken an gestreifte Liegestühle, ob Ost oder West, das zählte hier schon längst nicht mehr.

Da kam es nur noch darauf an, ein Plätzchen nahe der Bühne zu ergattern und den nackten Oberkörper trotzdem kunstvoll gen Sonne zu recken. Nicht schwarz-rot-gold, sondern braun, weiß oder rotverbrannt - allenfalls an den unvermeidlichen Sandalen konnte man Ost und West noch unterscheiden.

Auch die Bands machten keine Unterschiede: „Ich liebe euch alle - jeden einzelnen!“ dröhnte Campino über den Platz („Und ich war schon überall - in Rio, in Köln...“) während er mit seinem Mikrophon ständig über die Bühne fegte wie vor 14 Jahren. Mindestens genauso alt die Klamotten der Toten Hosen - jeder modebewußte Mensch könnte sich gestern bei Anblick von dem karierten Hemd, das einer der Toten Hosen trug, und des Sängers Campinos Amerikahose nur noch schaudernd oder mitleidig abwenden.

Aber immerhin: für mehrere Zugaben - „Bommerlunder“ - waren sich die Toten Hosen nicht zu schade, ganz im Gegensatz zu Alannah Myles. Etwas peinlich auch ihre Message an das Publikum: Es habe sich ja für sie so viel getan in Osteuropa und sie freue sich ja so hier zu sein - bevor sie ihren aktuellen Hit Black Velvet zur Begeisterung der Massen ins Mikrophon schmachtete.

Die beiden nebeneinander stehenden Bühnen verkürzten die Umbauzeiten erheblich, so daß den durstigen ZuschauerInnen nur jeweils eine halbe Stunde blieb, sich mit kulinarischem Nachschub zu versorgen. Der aber war reichlich - Falafel, Pizzas, Bratwürste, Sojapuffer mit Mangosoße, Kebab, eben alles, was mensch bei dieser Hitze zu seinem Glück noch brauchte. So mancher Ost-Verkauf wurde allerdings noch nicht so schnell mit dem herrschenden Andrang fertig, und das, obwohl vier Leute beschäftigt waren - einer für Würstchen, einer für Fleisch, einer für Brötchen und einer fürs Geld da nützte auch die rot-schwarz-goldene Fassade nichts, das Tempo erinnerte an den Service einer HO-Gaststätte. Anders die West-Buden, die mit Bier lockten - doch ätsch, Alkohol gab es nicht.

Aber nach dem dritten Glas Klausthaler hatte man sich daran gewöhnt, der eine oder andere half mit einer Kräuterzigarette der Dröhnung auf die Sprünge, weshalb so manch einer Gary Moores pretty women denn auch neben sich saß. Moore heizte dem Publikum mit seinem I am walking mächtig ein, um dann auch dem Ungläubigsten zu beweisen, daß er den Blues in den Neunzigern bereits schon für sich entdeckt hat. Das erste mildere Lüftchen, die blaßrot untergehende Abendsonne und Moores Still got the blues da mußte eine verstohlene Träne einfach fließen, da lagen alte Erinnerung gleich schwer auf dem Publikum in Weißensee, während sich die Hände gen Himmel reckten.

Ein paar hundert Unbelehrbare ließen sich jedoch weder von Moores Geseufze noch von den gröhlenden Toten Hosen in Richtung Bühne bewegen. Da hätten die schottischen Simple Minds ihr Belfast Child und Mandela Day zehnmal rauf - und runterspielen können - ein junger Peter-Maffay -Mützenträger erklärte: „Ich warte nur auf Tina Turner.“

Begonnen hatte das Weißenseer Festival schon am Samstag abend mit Maffays Sonne in der Nacht - ein Lichtermeer von brennenden Wunderkerzen und angeknipsten Feuerzeugen antwortete ihm. Bei der Zugabe Über sieben Brücken mußt Du geh'n sang das Publikum laut mit. Erwartungsgemäß begeisterte der in der noch-DDR sehr beliebte Maffay die nach Veranstalterschätzungen über 30.000 ZuschauerInnen an diesem ersten Tag.

Höhepunkt des schönen Sommerabends war der Auftritt Chris de Burghs. Der zierliche Sänger begrüßte seine Fans in deutsch mit: „Es ist schön, zum ersten Mal in Ost-Berlin zu sein.“ Jubel brauste auf, auch nach seinen anderen Hits Sailing away, Borderline oder Lady in red.

Schon am Nachmittag hatte die italienische Rockkönigin Gianna Nannini ein Motto des Abends ausgegeben. „Farmi sognare“ hieß es in einem ihrer Songs - „Laß mich träumen“. Viele der Besucher aus der DDR wollten ein Kontrastprogramm zu Wiedervereinigungshektik und Zukunftsängsten. „Das ging alles viel zu schnell, emotional kam ich nicht mehr hinterher“, meinte die 19jährige Schülerin Katja aus Angermünde, die sich für die Balladen Chris de Burghs begeisterte.

Am Sonntag dann die große Show mit den Stars Gary Moore, Simple Minds und Tina Turner auf der Radrennbahn, während die Samstags-Gäste im Tausch auf dem Hockenheimring auftraten, unter anderen Gianna Nannini, Chris de Burgh und Peter Maffay, die ihre Arbeit in Ost-Berlin Weißensee erledigt hatten.

maz