: Die Rückkehr hat lange gedauert
■ Marianne Faithfull erzählt ihre Geschichte
Ein Interview von Christa Ritter
In den Sechzigern gehörte sie zu den ersten, damals noch starken Frauen der Rolling Stones. Sie war vier Jahre lang Gefährtin von Mick Jagger. Ohne Frauen wie sie oder Anita Pallenberg wären die Stones nicht so weit gekommen. Ihnen verdanken sie den Mythos, der sie heute noch umgibt. Sie ist inzwischen 43 Jahre alt.
Marianne Faithfull lebte anfangs mit den Eltern in Österreich, der Vater war Professor für italienische Geschichte, die Mutter adelig. Nach der Scheidung gingen Mutter und Tochter nach England, Marianne bekam die strenge Erziehung einer Klosterschule zu spüren. 1964 wurde sie vom Stones-Manager Andrew Oldham auf einer Party entdeckt. Jagger/Richards schrieben für sie die sentimentale Ballade „As Tears go by“, durch die sie schnell zu einer Protagonistin der wilden Drogenzeit in den 60ern aufstieg. Jerry Hall, die jetzige Jagger-Frau, wird später über ihre Liebesbriefe an Mick sagen: „Wirklich poetisch!“ 1969 kam die Trennung. Marianne Faithfull verschwand. Erst zehn Jahre später begann mit ersten kargen Rock-Balladen ihre langwierige Rückkehr.
Christa Ritter: Wie hast du Mick Jagger getroffen?
Marianne Faithfull: Auf einer Party und war überhaupt nicht beeindruckt. Ich war ziemlich eingebildet. Außerdem mochte ich die Beatles lieber als die Stones.
Wie alt warst du damals?
Ich war gerade 17, sexuell noch im Tiefschlaf. Ich habe mit Mick Jagger nicht mal geredet. Kurz gesagt: nichts passierte. Ein weiterer Grund war, daß ich schon in meinen zukünftigen Ehemann verliebt war. Aber es war auf der Party doch etwas besonderes passiert. Ich traf den Manager der Stones, Andrew Oldham. Er war auf seine Weise ein Genie, ähnlich wie Brian Epstein von den Beatles. Er erkannte, was in mir steckte: diese „Persona“ der sechziger Jahre. Seine Vorstellung von mir hat er mir ganz cool und beiläufig vermittelt. Er war ungeheuer klug.
Er hat dich langsam aufgebaut?
Es gab Verträge, die ich sogar unterschrieb, natürlich ohne genauer hinzusehen. Damals war mein größtes Talent, daß mir so etwas wurscht war.
Wie weit bist du in deiner Karriere gekommen?
Natürlich bin ich ausgenutzt worden. Aber in der Pop-Kultur - da braucht man nur an Andy Warhol zu denken - lief ein eigenartiges Spiel. Jeder von uns lud andere geradezu ein, zu betrügen... Dabei glaubte ich, ich hätte die Fäden in der Hand, und irgendwie stimmte es sogar. Ich konnte nicht finden, daß Andrew mir etwas angetan hatte.
Wann hast du Mick Jagger wiedergesehen?
Wir brauchten zwei Jahre, um uns wirklich wahrzunehmen. Aber er war nicht die große Liebe, wie manche behaupten, eher eine Herausforderung unter vielen. Das klingt vielleicht nicht sehr nett, aber ich will ehrlich sein. In dem Zustand, in dem ich damals war, konnte ich Menschen gar nicht wirklich wahrnehmen.
Das war mit Mick Jagger anders?
Wenn ich an unsere gemeinsame Zeit zurückdenke, sehe ich Mick Jagger doch mit Wärme und durchaus als „reale“ Person. Ich habe mich enorm bemüht, eine wirkliche Beziehung hinzukriegen. Aber es gab in mir immer eine bestimmte Schicht, durch die nichts durchkam. Trotzdem habe ich aus unserer Erfahrung gelernt. Allerdings kaum was über die Liebe. Ich habe von Mick Jagger viel über Musik gelernt. Ich habe sie von der Pike auf wie ein Handwerk gelernt, vielleicht sogar noch mehr von Keith Richards. Es war schon eine außergewöhnliche Erfahrung, zu jener Zeit gerade mit diesen Menschen zusammen zu sein. Wir waren auf einem Erfolgstrip, und das Leben und die Liebe waren nicht so wichtig. Das kann ich Mick Jagger gar nicht vorwerfen, denn ich selbst wollte es nicht anders.
... die Welt lag euch zu Füßen?
Ja. Dabei war ich im Grunde voller Zweifel. Ich dachte, alles was ich tue reicht nicht. Ich habe mich immer innerlich runtergemacht und war deshalb destruktiv. Diese Zerstörerin war tödlich für einen Mick Jagger. Er war trotzdem sehr verliebt, und auch ich habe ihn geliebt. Nicht gleich von Anfang an, aber doch zum Schluß. Aber ich habe mit Absicht die Jagger-Episode nie groß aufgeblasen. Es gibt für mich nicht nur eine große Liebe. Liebe ist immer da, auf unterschiedliche Art mit verschiedenen Leuten, in immer neuen Situationen. Das Einzige, woran ich ständig arbeitete, war, die Liebe zu vertiefen.
Das ging mit einem Mick Jagger?
Ich war kein Groupie und war auch noch keine Feministin, also war mir das egal. Außerdem habe ich selbst Geld verdient. Auch später habe ich für meinen Unterhalt nie andere gebraucht. Aber es stimmt, die Zeit mit Mick Jagger war in diesem Punkt sehr schwierig für mich. Er war einfach so irre reich, daß ich passen mußte. Ich wurde unglücklich, weil ich nicht mehr autonom sein konnte. So ein Leben wie er konnte ich mir mit meinem Geld nicht leisten. Heute habe ich alles besser geregelt, nichts in meinem Leben ist mit seinem Leben zu vergleichen. Ich bin so grundsätzlich anders als er, habe es geschafft, ein wirklich arbeitender Künstler zu werden.
Es konnte also nicht lange gutgehen?
Es begann mit der Razzia während einer Drogenparty im Haus von Keith Richards, wo ich in einem langflorigen Teppich gefunden wurde. Die Gerüchte danach brachen mir das Genick. Von da ab kursierten die gemeinsten Verdächtigungen und Mißverständnisse. Mein Name war besudelt, alles im Eimer, meine Karriere aus. Die Presse machte mich zu einer Nutte, ich sei böse und gemein. Das süße, unschuldige Lächeln glaubte mir niemand mehr. Meine Identität, mein Stolz, eine Frau zu sein, waren dahin. Nach diesem Crash war alles absolut düster. Und keiner konnte mir helfen, nicht die Stones, nicht mein Manager. Ich wollte nur noch weg, und zwar so weit wie möglich.
Ich habe mich davon befreien können und das war Schwerstarbeit. Aber das war für mich überlebenswichtig: die totele körperliche, seelische und geistige Befreiung.
Woher kommst du?
Ich komme aus der oberen Mittelschicht. Aber wir hatten nicht viel Geld. Vielleicht spielte deshalb Geld für mich eine Rolle.
Du wolltest möglichst schnell auf eigenen Füßen stehen?
Ich habe ja schon vor der Flower-Power-Zeit, nämlich 1964, angefangen. Damals hat man von der „Revolution“ noch nicht viel gesehen. Ich glaube, ich haßte alles um mich rum, so wie ich lebte. Ich war nie gern zu Hause. Ich wollte ein eigenes Leben. So war mir klar, ich mußte einen anderen Weg gehen. Was Genaues wußte ich nicht, höchstens, daß ich gern schauspielern würde, mich zeigen, vor anderen ausdrücken.
Vor Mick Jagger warst du doch verheiratet?
Als ich John Dunbar heiratete, wollte ich noch nichts anderes als eine normale Ehe. Eine Ehe kannte ich gar nicht, weil sich meine Eltern, als ich sechs Jahre alt war, scheiden ließen. Nach unserer Heirat 1965 lebte ich eigentlich so, wie es bei anderen gerade furchtbar out war. John wollte das Gegenteil: LSD, sein vegetarisches Essen, braunen Reis. Für mich nur verrückte Sachen. Als junge Frau mit Kind wollte ich fleißig arbeiten und sauber und ordentlich sein. Aber ich liebte einen Mann, der sich in Experimente stürzte. Die Ehe war bald kaputt, und ich saß wieder allein da. Ein Abgrund tat sich auf. Ich hatte nämlich kein Konzept. Vorher war ich immer eine Optimistin und dachte, es wird schon werden. Nichts wurde. Meine Ehe nicht, meine Pop-Anfänge nicht. Irgendwas lief schief. Ich hätte mich lieber zurückziehen sollen, hätte mal zu mir kommen müssen. Aber mein eigenes Leben zu leben, dazu war ich einfach nicht fähig.
Ein „normales“ Leben?
Wenn ich nur brav weitergearbeitet hätte und nicht so hoch hinaus gewollt hätte, wäre es mir besser gegangen. Ich hätte mich versorgt, auch das Kind, meine Arbeit geschafft - alles kein Problem. Ich hätte Sachen machen können, die mich mehr befriedigt hätten. Aber ich habe natürlich wie wir alle nach Erleuchtung gesucht. Es begann mit 19 und war nur Hasch und LSD. Erst als ich 22 war, fing ich mit dem Heroinschießen an. Es fing also mit der Suche nach Gott und der Wahrheit an und wurde sehr schnell das Gegenteil. Ich gehöre wohl zu den Menschen, für die Drogen absolut gefährlich sind. Ich kenne einige Leute, die es machten wie ich und deshalb nicht mit Heroin anfangen mußten. Die Rückkehr hat verdammt lange gedauert.
Die Suche nach Erleuchtung kann lebensgefährlich sein?
Sie endete bei mir mit einem Leben auf der Straße. Ich wurde heroinsüchtig, war sogar registriert. Ich bin tief abgetaucht. Es gab meinen Namen nicht mehr, keine Adresse. Wenn mich jemand hätte finden wollen, wäre es ihm nicht geglückt. Oft lebte ich in einer Art Bande und wir halfen uns gegenseitig. Diese Menschen waren sehr gut zu mir. Dabei hätten in all den Jahren entsetzliche Dinge passieren können, aber es passierte mir nichts. Irgendetwas hat mich überleben lassen, etwas was nicht ich war. Zu den Menschen um mich rum war ich gemein und eklig, trotzdem kamen sie wieder. Ganz erstaunlich. Gerade mal meine Familie, auch mein Sohn, wußte wo ich hauste. Aber die alten Cliquen aus den schönen Zeiten waren weit weg. Ich wollte keine Hilfe von ihnen oder von sonst irgendjemandem. Ich wollte so allein wie möglich sein, und das war ich.
Wie hast du so einen krassen Umschwung verarbeitet?
Genauso wenig wie man den Tod verdrängen kann, gibt es einen Grund, dem „Blues“ hinterherzulaufen. Aber genau das habe ich in diesen Jahren gemacht: Ich bin dem „Blues“ nachgelaufen. Ich bin oft gestorben.
Ein langer Weg?
Ich blieb erstmal privat weggetaucht. Über diese Zeit rede ich nicht, sie gehört nur mir und ich will sie mit niemandem teilen. Ich habe mich auch wieder verliebt, habe mehrmals beinahe wieder geheiratet. Es trieb mich solange umher, bis ich stark genug war, um wieder an Arbeiten zu denken. Ich habe dann sehr vorsichtig und einfach angefangen, so daß ich sogar einen Hit in Irland hatte und eine kleine Tournee machte. Erst dadurch habe ich etwas mehr Selbstwertgefühl entwickelt: Ich konnte die LP Broken English machen. Zu der Zeit lernte ich Barry Reynolds (Gitarre) kennen. Wir stellten eine Band zusammen und reisten durch Deutschland. Ich lernte, das Leben eines normalen, endlich hart arbeitenden Künstlers zu leben. Ich hab schon meine Zeit gebraucht, um mich von den Sechzigern zu erholen. Aber ich habe mich erholt.
Ich brauchte allein sechs Monate, um zu kapieren, daß Drogen mich killen. Sie sind selbstzerstörerisch, lebensverneinend, sie blocken jedes Leben ab. Sie waren da, um mich zu betäuben, mich ruhigzustellen. Irgendwann blieb der Schmerz. Es mußte was passieren. Ich dachte, ich würde wahrscheinlich sterben. Aber ich starb nicht. Das war vor 4 Jahren. Chris Blackwell, der Boß von Island Records, schickte mich zu einer Drogen-Entzugstherapie in die USA und bezahlte dafür. Ich war endlich bereit und flog rüber. Mein Grund war nicht, von den Drogen wegzukommen, sondern, daß sie nicht mehr wirkten. Der Entzug war unglaublich schwer, weil ich so krank war. Zwar hatte meine Wiedergeburt mit der Produktion von Broken English begonnen, aber ich hatte ja noch jahrelang weitergemacht und mit dem Entzug erst 1986 richtig angefangen. Jetzt war meine ganze Persönlichkeit verkorkst, und ich mußte erstmal lernen, daß ich keine Drogen nehmen muß. Ohne Drogen zu leben, war ein absolut revolutionärer Gedanke für mich.
Bist du wieder ganz gesund?
Mein Körper hat sich doch noch regeneriert, das ist schon erstaunlich. Während der letzten zehn Jahre war das Schlimmste, daß sich mein Körper nur durch Anfälle von Bewußtlosigkeit abschalten ließ. Nur wenn ich mich so ausklinkte, war es erträglich. Diese Scheintode haben mein Nervensystem angegriffen, auch mein Rückgrat. So zu leben war gefährlich. Ich mußte eine Menge tun, um einen Ausgleich hinzukriegen. Dazu gehörte auch die Behandlung durch einen Chiropraktiker. Ich fing an, mein Leben wieder in die Hand zu nehmen. Diese Wandlung dauert an. Heute komme ich wieder dort an, wo ich damals war, bevor ich mit den Drogen begann. Ich lerne mühsam, ein Mensch zu werden und ein ernsthaftes Leben zu leben, zu arbeiten. Damit will ich nicht sagen, daß ich die Zeit mit den Stones oder die auf der Straße verleugne. Aber nur noch auf der Bühne leiste ich mir das Ausleben bestimmter Gefühle. Dagegen halte ich in meinem Leben einen riesigen Abstand zu einer gewissen Sorte Mensch, insbesondere zu den Stones. Ich habe sie seit 15 Jahren nicht mehr gesehen.
Mit wem hast du denn gelebt?
Vor allem während der letzten vier Jahre habe ich so unglaublich viel von allen möglichen Unbekannten lernen dürfen. Vielleicht, weil ich erst jetzt erreichbar bin. Ich höre endlich den Leuten zu, bin offener. Ich hatte mich früher immer ziemlich zugemacht. Ich las dann die Bücher von Allan Watts. Sie waren enorm wichtig für mich. Er sagt, daß wir nur kleine Teile von Gott oder einem größeren Ganzen sind und daß jeder, den wir treffen, genauso ein Teil davon ist. Solche Gedanken trösten mich.
Das klingt fast religiös?
Ich fand eine spirituelle Möglichkeit: Ich lernte zu meditieren, bekam Akupunktur-Behandlung, machte Tai-Chi und Therapien. Ich habe weiß Gott viele Therapien gemacht.
Meditierst du noch immer regelmäßig?
Ja, aber ich mach nichts Großartiges. Nur eine einfache Zen -Meditation mit einer Atemtechnik. Dadurch komme ich in eine andere Welt, fast wie früher mit den Drogen. Es hilft mir sogar körperlich.
Früher mußte ich immer eine besondere Position haben, weil ich Angst hatte, nicht stark, kreativ und selbstsicher zu sein. Das machte mich aggressiv und defensiv zugleich. Als ich nach der langen Pause zum ersten Mal wieder ins Studio ging, mußten sich die Leute daher anfangs mit meiner Paranoia, meinem Ego und meinen Ängsten auseinandersetzen. Ich mußte meine Egozentriertheit aufbrechen und mich anderen Menschen öffnen. Den Menschen zu vertrauen und zu verstehen, daß jeder, egal woher er kommt, dir etwas erzählen kann. Aber natürlich suche ich für mein Team nach Leuten, die mich leichter verstehen, für die Musik etwas Ähnliches bedeutet wie für mich. Weil ich kein Instrument spiele, arbeite ich nie allein. Das ist nach wie vor problematisch für mich, weil ich nur durch die Zurücknahme meiner Person an den Kern eines Songs rankomme.
Du läßt dich heute mehr berühren?
In der Musik fällt mir das sehr schwer. Ich verstricke mich noch oft und muß lernen zu warten. Den Dingen Zeit geben. Wenn ich nämlich in etwas mit viel Kraft einsteige, verkrampfe ich. Auch am Telefon will ich oft alles auf einmal. Sobald ich durchdrehe, tut es mir hinterher wieder leid. So mag ich mich nicht. Deshalb muß ich ständig aufpassen und mich zurücknehmen. Wenn ich zum Beispiel glaube, ich müßte sofort meinen Produzenten anrufen, um ihn zum „motherfucker“ zu stempeln, mache ich lieber eine Pause. Wenn ich impulsiv handle, baue ich Scheiße.
Ich habe gelernt, daß ich mehr bin als meine Arbeit, daß mein Privatleben sogar wichtiger ist. Natürlich bedeutet mir meine Musik viel, aber was ich tue, wenn mich niemand sieht, wenn ich mit meinem Mann, meiner Mutter und meinem Sohn zusammen bin, ist mindestens genauso wichtig.
Heute bist du wieder verheiratet?
Vor zwei Jahren habe ich zum dritten Mal geheiratet. Ich bin ziemlich sicher, das könnte diesmal dauern. Mein Mann ist 11 Jahre jünger als ich, Amerikaner, Schriftsteller. Er ist sehr nett, intelligent und komisch. Wir genießen zusammen jeden Tag, so wie er kommt, laufen nicht den großen Plänen hinterher. Wir leben jetzt in Irland, ganz in der Nähe von Dublin, auf dem Land.
Ihre LPs: Broken English (1979), Dangerous Acquaintances(1981), A Child's Adventure (1983), Strange Weather (1987) und unlängst erschien der Live -Mitschnitt ihrer Konzerte in der St. Ann's Cathedral in Brooklyn/New York Blazing Away. Ein Film dieses Konzerts kam im Juni raus.
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