: Endspiel eines Künstlerfürsten
■ Hans Werner Henzes „Elegie für junge Liebende“ in Krefeld
Weit entrückt aus dem von den Urhebern Q.H.Auden, Chester Kallman und Hans Werner Henze Ende der fünfziger Jahre vorgesehenen Milieu hat die Produktion der Vereinigten Bühnen Krefeld/Mönchengladbach die Oper Elegie für junge Liebende: Aus dem idyllischen Berggasthof zum „Schwarzen Adler“ wurde eine weiße Treppe zu höherem Ort, aus „Tirolerjacke und Lederhosen“ des sich folkloristisch ausstaffierenden Arztes die Ledermontur eines Motorrad -Rockers, aus der Postkartenansicht des schneebedeckten Hammerhorns eine mit dicken Pinselstrichen angedeutete dämonische Felsenlandschaft. Die überragende, durchweg ironisch bloßgestellte Figur des Werks ist der Dichter Mitterhofer, der kurz vor seinem 60.Geburtstag steht, immer uneingeschränkter von der Kritik gefeiert und von dem ihm hörigen Doktor Reischmann stabilisiert, von der Gräfin Kirchstetten verwaltet wird. Seine besten Einfälle bezieht „der Meister“ in frischer Bergluft von den skurrilen Visionen der Witwe Mack, die seit 40 Jahren vorm Ausblick auf das Hammerhorn auf den am Morgen nach der Hochzeit in die eisigen Höhen gestiegenen Gatten wartet; die junge Elisabeth Zimmer aber dient im übrigen als Muse.
Diese Elisabeth, von Pascale Perli etwas unglücklich in ein Tigerwams gezwängt, wechselt Knall auf Fall die Betten, als Toni aufkreuzt, der Sohn des dienstbaren Medizinmanns. Der alternde Poet, intellektuell überlegen, kämpft um ihre Gunst und versteht vor seinem Hofstaat die Eifersucht auf den jungen Tenor zu verbergen. Dann läßt er, die Äußerungen der Beteiligten protokollierend und seine verlogenen Gefühle reimend, die beiden jungen Liebenden ins Verderben laufen: Sie brechen kurz vor einem Wetterumschlag zum Gipfel auf, um seiner sentimentalen Bitte entsprechend nach Edelweiß zu suchen. Hans Werner Henze hat vor 30 Jahren für das gelegentlich ins Triviale absackende Konversationsstück eine differenzierte, in vielen Gesten dekuvrierende Musik komponiert, die zusammen mit der König-Hirsch-Partitur und der in Zusammenarbeit mit Ingeborg Bachmann entstandenen Oper Der Prinz von Homburg seinen größeren Ruhm begründete. In Krefeld steht mit Pamela Geddes und Walter Plante ein stimmlich überzeugendes junges Liebespaar der gespielten Souveränität und in den Nuancen ausgekosteten Niederträchtigkeit des Dichterfürsten gegenüber, der in Leonardo Wolovsky seinen Meister findet.
Insgesamt bleibt der intendierte Ernst, der nur sehr bedingt Form gewordene Anlauf zur Auseinandersetzung mit dem Künstlertum bei dieser Henze-Oper problematisch. Iwan Goll und Kurt Weill hatten Mitte der zwanziger Jahre in Royal Palace die Unerfülltheit des saturierten Lebens am Seeufer vorm Alpenpanorama vorgeführt, die Selbstinszenierungen (welche Ungeheuer gebärden) zwischen Avantgardegetümmel und Operettentravestie der Lächerlichkeit preisgegeben. Henze orientierte demgegenüber zurück auf eine insgesamt anspruchsvolle Gemengelage der Musik, die gleichwohl auf eine Fülle von trivialen Anklängen - der Wirksamkeit wegen nicht verzichten wollte.
Die Inszenierung von Hans Peter Cloos hob durch das Bühnenbild von Jean Haas bewußt von der in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und der vor einer noch unberührt faszinierenden Berglandschaft spielenden Handlung ab: Die Tragödie um den alternden, an den höheren Zielen der Kunst gescheiterten Dichter soll so verallgemeinert, die Anklänge an den Mief der fünfziger Jahre gemildert werden.
Aber es bekommt Henzes Oper nicht gut, so als große und tragische Kunst genommen zu werden. Von den großen Linien des auf einen entwickelteren Grad der Moderne verweisenden Bühnenbildes kommt die Stunde der Wahrheit nicht nur für Meister Mitterhofer, der sich mit impotenter Kunst vorm Ruhestand feiert, sondern vor allem auch für die Musik. Deren kunsthandwerkliche Machart ist mit dem Entwurf der Inszenierung überfordert. Die Einsprengsel von Jazz, Big Band, Puccinischer Erbmasse wirken im Kontext der an die Zwölftonära erinnernden Lineatur tatsächlich wie Bauernmöbel, Dirndlkleid und Kuckucksuhr vorm Hammerhorn im Schneetreiben. Entkleidet man die Henzeschen Bühnenwerke aus den Wirtschaftswunderjahren der ihnen eingeschriebenen Fassaden, so stehen sie schließlich zu nackt und bloß da. Delikat wäre die Inszenierung geworden, hätte sie der mit manchem spießigen Sarkasmus bedachten Figur Mittenhofers die Züge eines ihrer Urheber verliehen, der das 60.Lebensjahr bereits überschritt und seiner Biographie einige markante mittenhofersche Momente zuwachsen ließ.
Frieder Reininghaus
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