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Stammeskämpfe in der Metro

■ Auf 100.000 Angehörige schätzt man die diversen Clans der „Zoulous“ in Paris: Kids, die sich im U-Bahn-Untergrund und in den Banlieue-Ghettos eingenistet haben / Die „Zulu„-Queen Candy predigt Gewaltfreiheit - doch jetzt gab es den ersten Toten

Aus Paris A. Smoltczyk

Im futuristischen Büroviertel La Defense machen die „Schwarzen Drachen“ das Gesetz, sobald die Bürohengste ins Wochenende getrottet sind; in Saint Denis sind es die „Junior-Haie“ und in Aubervilliers die „Zeremonienmeister“. Jedes Pariser Beton-Ghetto, jede Schnellbahnstation im Großstadtdschungel hat ihren „Zoulou„-Clan, und die unzähligen und für Uneingeweihte unleserlichen Spraykalligraphien markieren das Territorium. Man trägt „501„-Jeans, Adidas-Turnschuhe, Citybags und umgedrehte Baseballmützen auf den ausrasierten Köpfen. Ihr Idol ist Johnny Clegg, der „weiße Zulu“ und Rockmusiker aus Südafrika. Ansonsten hört man bevorzugt Rap und Hip-Hop jene Musik, deren abgehackter Schnelligkeit die unter Zoulou -Kids gängige, dazu noch mit vielerlei Wortverdrehungen gespickte Sprache sehr nahe kommt.

Doch ansonsten ist es kaum möglich, die Zoulous (ihre Zahl wird für ganz Frankreich auf 100.000 geschätzt) auf einen Nenner zu bringen. Die Gruppen bestehen aus zehn bis sechzig Leuten, Durchschnittsalter um die neunzehn. Manche sind rein ethnisch bestimmt, rekrutieren sich aus den senegalesischen, martiniquanischen, nordafrikanischen Communities, die sich dank fehlender Stadtpolitik in den letzten Jahren in den Neubauvierteln der Pariser Banlieue gebildet haben.

In anderen Gruppen sind die Ethnien quer gemischt. Manche Gangs haben ihr festes Terrain, ihren Block, ihre Straße, andere sind mit Vorliebe unterwegs - im eigenen, mit ihrem Emblem versehenen Metro-Wagen. Frauen gibt es - wenige. Bei den Zoulous herrscht das Patriarchat. Und der Stamm liefert den Banlieue-Kids der zweiten Generation den Halt, den die traditionellen Familienstrukturen nicht mehr geben können. Stammesbildung, um das Dschungelgesetz der neuen Welt aufzufangen - eine banale Soziologenwahrheit aus dem Proseminar.

Dennoch gibt sich die Pariser Polizei ratlos. Seit den „Blouson noirs“, den Halbstarkengangs der frühen Sechziger, hat man derartige Bandenphänomene in Paris nicht gekannt. Kommissar Michel Gurin, oberster Flic in La Defense, läßt seine Beamten ständig durch den Bahnhof patrouillieren, um zu verhindern, „daß die Zoulous sich hier einnisten. Früher waren es nur die Grafittis, aber jetzt sind sie aggressiver geworden, klauen den Jugendlichen ihre Blousons und Schuhe.“

Wenn es nur das wäre: Seit einigen Monaten beschränken sich die Streitigkeiten zwischen den diversen Clans nicht mehr auf die Garderobe. In Sarcelles gab es im April eine Schlägerei zwischen Zoulous und den jüdischen „Feujs„; im Mai einen mehrere Stunden dauernden Stammeskrieg zwischen achtzig Zoulous aus Cergy; ähnliche Meldungen gibt es aus Yvelines und Pontoise. Inzwischen sind den ersten Kommissariaten CRS-Eliteeinheiten zur Unterstützung zugewiesen worden.

Am vergangenen Sonntag dann der erste Tote. Vor der einzigen Disko in La Defense (die andere ist Schwarzen verboten) treffen die „Black Dragons“ auf die „Mendy“. Provokationen, Anmache - ein 19jähriger „Mendy“ aus Mali wird von einem „Black Dragon“ mit einem Knüppel niedergeschlagen und stirbt an den Verletzungen. Die ganze Nacht wird in den Metro- und RER-Stationen Jagd auf die schwarzen Drachen gemacht, einige Dutzend Zoulous werden festgenommen und wieder freigelassen, ein Täter nicht gefunden.

Die „Queen“ der Pariser „Zulus“ (nicht mit den Zoulous zu verwechseln) heißt Candy. Sie ist es auch, die seit drei Jahren den „Zulu Letter“ herausgibt, ein fotokopiertes Mitteilungsblatt aus dem Stammeswesen der „Zulu-Nation“. Die Zulu-Philosophie, erklärt Candy, lehne die Gewalt der Zoulous ab: „Keine Drogen, keine Gewalt, Einheit und Frieden - das sind die Prinzipien der Zulu-Nation“, Prinzipien, die der ehemalige Black Panther und Gründer der „Zulu-Nation“ Afrika Bambataa 1975 in der Bronx aufgestellt hat.

Die Zulus sind so etwas wie die bewußte Avantgarde der proletarischen Zoulou-Bewegung. Ableger finden sich auch in der Bundesrepublik; Queen Candy höchstselbst bereiste einst die Stammeshauptstadt Berlin. Sully, ein 19jähriger Algerier aus Emerainville, bedauert die negativen Schlagzeilen, die seine Bewegung zur Zeit macht: „Wir Zulus sind nicht nach Territorien gegliedert, sondern nach Aktivitäten. Es gibt Rapper, Smurfer (die französische Version des Breakdance, d.Red.), DJs und Graffitikünstler. Es geht nicht um Zoff, sondern darum, seine Positivität zu beweisen.“

Ihre positive Existenz in der allgemeinen Negation, die ein Pariser Vorstadtghetto darstellt, beweisen die anderen Zoulous sicherlich auch - nur in weniger philosophischer Art als die guten Wilden um Queen Candy. Eine späte Rache der Kolonialisierten? Nicht ganz: bisher werden die Streitigkeiten noch großenteils innerhalb der Pariser Zoulou -Gruppen ausgetragen. Die weißen Kolonialherren, die Bwanas, bleiben unbehelligt.

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