: Frauendemo gegen §218 um fünf vor zwölf
■ Kurz vor dem DDR-Beitritt plant ein unabhängiges Frauenbündnis aus West und Ost eine Demonstration
Berlin (taz) - Frauen kommen spät - aber gewaltig!? Zumindest Teil eins des Kalauers gilt zur Zeit für die Frauenbewegung und ihre Haltung zur deutsch-deutschen Vereinigungsfarce. Ob Teil zwei zutrifft, muß sich noch herausstellen. Ganze drei Tage vor dem Beitritt der DDR plant ein unabhängiges Frauenbündnis aus dem linken, feministischen und oppositionellen Spektrum der BRD und DDR eine „Frauen-Großdemonstration“ unter dem Motto „Gegen die Einverleibung der DDR - Für ein selbstbestimmtes Leben“.
Aufhänger für die Demonstration in Berlin am 29. September ist die Forderung nach ersatzloser Streichung des §218. Initiatorinnen der Demo sind die bundesweite §218 -Koordination, das Frauenbündnis „Frauen begehren Selbstbestimmung“ und der Unabhängige Frauenverband der DDR
-dieselben Frauen, die bereits am 16.Juni in Bonn eine erfolgreiche Demo gegen den §218 über die Bühne brachten. Aber diesmal geht es den Frauen um noch viel mehr. In dem Aufruf wird eine Fülle von Themen aufgeführt - praktisch alles, was linke Frauen und Männer seit Monaten gegen die Wiedervereinigung ins Feld führen. So darf auch gegen die „unsozialen Folgen des Anschlusses“ demonstriert werden, gegen „Intoleranz und Ausgrenzung“ und gegen ein „undemokratisches und aggressives Deutschland“. Im umfangreichen Forderungskatalog ist vom Recht auf bezahlte Arbeit, der Entmilitarisierung bis zur ökologischen Energie und Verkehrspolitik und der Abschaffung der AusländerInnengesetze nichts vergessen worden.
Verena Krieger von den Grünen verteidigte vehement die Themenvielfalt: Im Gegensatz zur Bonner Demonstration im Juni stehe jetzt an, das „grundsätzliche Unbehagen“ auszudrücken. Eine Frauendemonstration sei aber deshalb wichtig, weil bei einer „gemischten Demo der §218 nur als Spiegelstrich Nummer 17 aufgeführt würde“. Wobei festzuhalten ist: Männer dürfen mitmachen, aber nur als Fußvolk. Das Redenschwingen bleibt den Frauen vorbehalten.
Strittig war auch der Zeitpunkt der Demo. Der Vorschlag einer Teilnehmerin, noch diese Woche eine Spontandemo zu organisieren, wurde abgelehnt, obwohl in diesen Tagen das Thema Abtreibung ganz oben auf der politischen Tagesordnung steht. Ursprünglich war der Demotermin sogar für einen noch späteren Zeitpunkt anvisiert worden: für Anfang November. Dafür hatten vor allem die Frauen aus der DDR plädiert mit der Begründung, sie müßten in den nächsten Wochen den Wahlkampf für die Länderparlamente organisieren. Aber im November hätte das Motto der Demo, „Gegen die Einverleibung“, allenfalls noch tragikomischen Charakater gehabt. Die Frauen einigten sich schließlich auf den 29. September. Und hier zeigten sie wenigstens eine Spur Galgenhumor. Denn die Demonstration soll um 11 Uhr 55, beginnen, buchstäblich „fünf Minuten vor zwölf“.
Helga Lukoschat
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen