Herbstwinde

■ Von der Pinnwand der taz-KorrespondentInnen

„Krieg, Krieg, Krieg!“ Ich habe die Nase voll vom Kriegsgeschrei, das ich Tag für Tag in den türkischen Zeitungen lesen muß. Ein mieser Job, das ideologische Gift, das „Meinungsmacher“ zusammenmischen, dauernd verfolgen zu müssen. Am schlimmsten sind die Ex-Linken. Cengiz Candar, 68 linker Studentenführer, später Freund des Chomeini-Regimes, ist heute als prominenter Kommentator der Zeitung 'Günes‘ kriegsbesessen. Verächtlich spricht er über „Süßwasser -Intellektuelle“, die vor dem Krieg warnen, und will lieber heute als morgen im Irak einmarschieren: „Den Enkeln der Osmanen fällt die Aufgabe zu, den Islam, den Männer wie Saddam befleckt haben, wieder zu reinigen.“ Habe einen seiner übelsten Kommentare für die taz übersetzt. Zum Teufel mit diesen Süßwasser-Piranhas.

Hätte beinahe wegen dem Kriegsgeschrei vergessen, daß ich diese EUROTAZ fertigstellen muß. Wer es nicht weiß, sei belehrt: So eine EUROTAZ ist eine verdammt schwierige Sache. Sie wird nämlich nicht von der Redaktion in Berlin zusammengestellt, sondern von den Korrespondenten. Wer weiß, wie es um das Istanbuler Telefonnetz bestellt ist, wird ermessen können, welch gewagtes Unterfangen dies ist. Die Leidtragende war die Westeuropa-Redakteurin Dorothea Hahn. Die Texte aus Brüssel und Madrid nach Istanbul zu faxen, brachte sie zur Verzweiflung. Die Kommentare zu bestellen, war weitaus einfacher. Die Fundamentalisten stehen zu ihrem Wort. Pünktlich faxte Herr Dilipak seinen Kommentar. Schwieriger war es mit dem Text von Dogu Perincek. Der ist nämlich im kurdischen Diyarbakir, 1.000 km von Istanbul entfernt und außerdem hinter Gittern.

Im Büro kamen die üblichen Faxe an. Der „Koordinationsrat Gedankenfreiheit“ lädt zu einer Pressekonferenz ein. Solche Pressekonferenzen gehören zum Alltag. Das Regime hat ja Tausende wegen ihrer Meinung eingekerkert, verflucht sei dieses Regime. Eine Delegation aus der (Noch-) BRD meldete sich im Büro an: zwei Rechtsanwälte, ein Arzt. Sie versuchen, eine Haftentlassung für den politischen Gefangenen Sedat Karaagac zu erwirken. Karaagac hat Hautkrebs. Doch er wird nicht freigelassen. Die Anwälte konnten das Zentralgefängnis Ankara besuchen. Sie berichteten über einen Vorfall, der nur zu typisch ist: Im Gefängnis leben wilde Katzen. Einige Gefangene freundeten sich mit den Katzen an. Als die Wärter das merkten, ertränkten sie die Katzen im Wasserbecken des Gefängnishofes.

Istanbul verdurstet unterdessen. Einige Quartiere werden seit Wochen nicht mehr mit Trinkwasser versorgt. In den Slums der Stadt prügeln sich Frauen mit Polizisten. Gegen den Abriß der illegal erbauten Baracken und für Wasser. Per Post erhalte ich eine Broschüre der Istanbuler Wasserwerke: Auf Hochglanzpapier werden ihre Leistungen gerühmt.

Der Herbst ist die schönste Jahreszeit in Istanbul. In dem Cafe „Cinaralti“ (Unter den Platanen) am Bosporus trinken wir mit Freunden Tee. Die Tanker ziehen mitten durch unsere Stadt in ferne Welten. Lange hat der Nordwind karayel (der schwarze Wind) geweht. Es folgten ein Sturm und ein kurzer Regen. „Hava dönüyor“ - „die Luft dreht sich“ sagte der Nuri, der Inhaber des Cafes. Seither weht ein milder Südwestwind, der Lodos. Es ist Herbst. „Allah, beschere uns das Schöne“, sagen wir.

Ömer Erzeren