Mehr intellektueller Planer als Umsetzer

■ Der Kieler Justizminister Klaus Klingner ist SPD-Spitzenkandidat für Mecklenburg-Vorpommern

PORTRAIT

Kiel (taz) - Man kennt ihn als Analytiker. Als Tatmensch ist er dort, wo er an der Spitze stand und steht und etwas gestalten konnte, bisher kaum im Erscheinung getreten. Vor drei Jahren, als der SPD-Mann Björn Engholm zum zweiten Mal gegen Uwe Barschel (CDU) antrat und sein Schattenkabinett vorstellte, hatten alle erwartet, daß Klaus Klingner Finanzminister werden solle. Die üblichen Beobachter waren überrascht, daß Klingner dann nur für das entschieden weniger wichtige Justizressort vorgesehen war. Heute kann man sagen: Das war wohl Engholms treffsicherste Personalentscheidung - die energische und kluge Heide Simonis zur Finanzministerin und Klingner das vergleichsweise beschauliche Justizministerium zu geben.

Dabei war der heute 54jährige Klingner lange Oppositionsjahre hindurch der Finanzexperte der SPD-Fraktion im Kieler Landtag gewesen. 1971 wurde er Landtagsabgeordneter, als 36jähriger Richter, nur fünf Jahre nach seinem Eintritt in die SPD. Im Laufe der Zeit entwickelte er sich zu einem der intellektuellen Köpfe in seiner Fraktion. Außerhalb Schleswig-Holsteins kennt man Klingner nur als Vorsitzenden jenes Ausschusses, der die Barschel-Affaire beleuchtete. Seine Verhandlungsführung wurde von allen Seiten gelobt; die Filme und Theaterstücke über die Arbeit des Untersuchungsausschusse haben Klingner eine gewisse Popularität eingetragen. Seine politische Laufbahn verdankt er allein seinen intellektuellen Fähigkeiten. Eine Hausmacht in der Partei hat er nie gehabt.

In den vergangenen zwei Jahren hat Klingner als schlewig -holsteinischer Justizminister zweimal auf den Tisch gehauen: Den CDU-frommen Generalstaatsanwalt hat er umgehend in Pension geschickt und statt des gemeinsam mit Niedersachsen betriebenen Oberverwaltungsgerichts Lüneburg wird Schleswig-Holstein bald sein eigenes OVG haben - ein Schritt, der für juristische Auseinandersetzungen um den immer noch geplanten Ausstieg aus der Atomernergie wichtig werden kann. Bei seinem Paradethema jedoch, die Reform des Jugendstrafvollzugs hin zum Prinzip „Wiedergutmachung statt Strafe“, ist er noch keinen Schritt vorangekommen. Es wächst die Zahl der Berater, die nicht mehr an die Reform glauben. Die Prioritätenliste seines Hauses hat sich Klingner anscheinend von CDU-treuen Beamten aus der Hand nehmen und umkrempeln lassen. Auch als Landesvorsitzender des schwer auszurechnenden Paritätischen Wohlfahrtverbandes wird Klingner wenig Spuren hinterlassen. Zwar hatte er dort die Mehrheit der Mitgliedsvereine hinter sich gebracht, diesen Wahlerfolg dann aber gleich mißverstanden - trotz seines Vorsitzenden hatte der Verband keineswegs vor, mit der SPD und ihrem Vorbehalten gegen staatsunabhängige Wohlfahrtspflege Frieden zu schließen. Ähnlich die Früchte seiner Bemühungen als Präsident des Arbeiter-Samariter -Bundes in Schleswig-Holstein. Streitigkeiten zwischen professionell und ehrenamtlich orientierten Gruppen konnte er nicht beenden: weitsichtige Vorschläge für den Ersatz der knapper werdenden Zivis blieben ohne Resonanz. Eine Schwäche Klingners wird deutlich: Was er in Interviews häufig als „Ungeduld“ beschreibt ist wohl eher seine geringe Fähigkeit, sich auf das Niveau seiner Umgebung einzustellen. Die SPD Mecklenburg-Vorpommern bekommt mit dem überzeugten Fußgänger Klaus Klingner einen Intellektuellen ohne Politikerfaxen. Seine Biographie im Kieler Landtagshandbuch ist die kürzeste von sämtlichen Abgeordneten. Darstellertalent fehlt ihm offenbar. Seine Reden sind stockend, eine Geduldsprobe für die Zuhörer. Der Grund: Er kann beim Reden das Denken nicht abschalten - vielleicht sympathisch, aber unpraktisch in Wahlkämpfen.

Jörg Feldner