Apocalyse Now in der Mark Brandenburg

■ Im Geisterstädtchen probte die NVA den Ernstfall / Hubschrauber jagten auch LPG-Kühe / Baubeginn erst vor vier Jahren

Scholzenslust. Wetterlingen... ...das gibt es eigentlich gar nicht. Keine Landkarte verzeichnet die kleine Gemeinde, obwohl sie knapp 50 Häuser, hübsche gelbe Ortsschilder und eine Bahnstation ihr eigen nennt. Auch die Infrastruktur ist gut: Post und Sparkasse finden sich an der Breiten Straße; ein paar Schritte weiter, an der Hauptstraße, liegt ein Hotel und die Gaststätte „Wintergarten.“ Leider trüben Sandsäcke und Holzbalken in den Fensteröffnungen den idyllischen Kleinstadt-Eindruck. Auch fehlen den ein- bis zweistöckigen Häusern die Dächer, denn Scholzenslust ist eine Geisterstadt und diente der Nationalen Volksarmee (NVA) als Häuserkampfgelände. Inzwischen hat die 1. Motorisierte Schützendivision Potsdam, der das Objekt im Wald nahe Lehnins gehört, hier ihr Training eingestellt.

Das Gelände ist nur durch Panzersperren von den umliegenden Kiefernschonungen getrennt. Herumstehende russische Panzer, Jeeps, olivgrüne Laster und ein ausgewaideter Helikopter weisen auf stilechte Ausgestaltung vergangener Kriegsspiele hin. Die märkische Apocalyse-Now-Szenerie erhält ihre spezielle Atmosphäre durch zwei Holz-Galgen an der Breiten Straße und die Kindergartenwiese mit Wippen und Klettergerüsten. Auf Litfaßsäulenplakaten rufen stilisierte Kämpfer zu „Free South Africa, Spendenkonto 444“ auf. Wozu die jetzt zugemauerten Gänge dienen, zu denen stacheldrahtbewehrte Treppen führen, werden wohl nur die Generäle wissen.

Möglichst wirklichskeitsgetreu sollte es beim NVA-Training zugehen. „Man hat schon versucht, den Ort ein bißchen real dazustellen“, erklärt Oberstleutnant Harald Krasemann von der 1. Motorisierten Schützendivision das Scholzenslust -Konzept - „wie es eben bei uns in der Republik aussieht.“ Außer Häuserkämpf seien auch Luftangriffe mit Kampfhubschraubern des Typs „Mi-4“ geflogen worden. Den Einsatz von Flugzeugen, die Bewohner naher Ortschaften beobachtet haben, will der Presseoffizier nicht bestätigen: „So etwas gab es meines Wissens nach nicht.“

Errichtet wurde Scholzenslust erst vor vier Jahren, als 1.600 Kilometer weiter östlich schon „Perestroika“ die neue Devise hieß. „Damals bemerkte ich beim Pilzesuchen, daß dort im Wald gebaut wurde“, erinnert sich ein Bauer einer nahegelegenen LPG. Die Einheimischen ahnten nicht, daß hinter den Kiefern eine künstliche Stadt entstand. Die Hubschrauber, die vor ungefähr zwei Jahren ihre Tiefanflüge begannen, waren jedoch nicht zu überhören. „Die Hubschrauber flogen niedrig in Dreier-Staffeln. Über der Weide haben sie unsere Kühe gejagt“, erzählt der Landwirt. Einsprüche halfen nichts: „Die Armee ging bei uns immer vor.“

Scholzenslust ist Teil eines riesigen Truppenübungsareals, auf dem es auf zig Kilometer hin nur Sand, Nadelbäume und Panzerspuren gibt. Streckenweise sieht es aus wie in der Prärie in Wyoming. Überall liegen leere Plastikhülsen mit Aufschriften wie „Imitationshandgranaten“ herum. In Scholzenslust ist's inzwischen wieder ruhig: Zur Dämmerung streifen Hasen und Rotwild durch die leeren Straßen. Hinter einer abseits gelegenen Zuschauertribüne, die jedem Provinz -Stadion Ehre machen würde, sind in einem abgezäunten Gelände die einzigen Einwohner stationiert: ein paar Schafe, die an Pflöcken weiden. Ihre strategische Aufgabe war offenbar, den örtlichen Rasen kampfgerecht kurz zu halten.

chb