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Ab geht die Post

■ Dietmar Haaf wird Europameister im Weitsprung und düpiert den Deutschen Leichtathletikverband

PRESS-SCHLAG

Die Deutsche Bundespost in Zusammenhang mit einem positiven Rekord zu bringen, ist zugegebenermaßen verwegen. Und doch ist dieses stümperhafte Alltagsärgernis irgendwie mit der ersten Medaille des BRD-Teams bei der Leichtathletik -Europameisterschaft in Split verbunden. Denn der Sieg wurde über Funk programmiert. Seit zwei Jahren hupft Dietmar Haaf, der Goldbub im Weitsprung, streng nach Telefax. Der baden -württembergische Verbandstrainer Alfred Rapp, der den Kornwestheimer seit neun Jahren trainiert, funkte wöchentlich das Trainingsprogramm von Stuttgart nach Los Angeles, wo der Maschinenbaustudent ein Stipendium angenommen hatte.

Annehmen mußte, denn der Deutsche Leichtathletikverband (DLV) - ähnlich unbürokratisch wie die Post - hatte dem Halleneuropameister absurderweise keine Optimalförderung zuerkannt. Halle gilt nicht, steht da geschrieben, tut uns echt leid, Dietmar. Außerdem sei er ja so klein, nur 1,73, da werde das auf Dauer nichts mit dem Weitsprung.

Der Deutsche Meister von 86-89, Junioren-Weltmeister 86, Hallen-Vizeweltmeister 89, pfiff darauf. Und studierte in den USA Aerodynamik. Am Strand von Santa Monica frönte er hemmungslos seinem Laster: unentwegt in den Sand springen. Und lief in den Fußstapfen von Carl Lewis. Was offenbar abfärbte. Zur Technik und Psychenkontrolle kam ab und an Trainer Rapp angejettet, sofern sich ein Sponsor fand, der den Flug löhnte. Vom Bundestrainer Hansjörg Halzamer will der eigensinnige Schwabe Haaf nämlich nichts wissen, Rapp muß es sein.

Am Mittwoch dann der final countdown. Das von langer Hand geplante „Unternehmen DLV-Demütigung“ lief an. Vor dem Wettkampf zog er sich nebenbei noch 50 Seiten Betriebswirtschaft rein, für die Prüfung in zwei Wochen, nach dem Sieg spielte Haaf den Erstaunten: „Ich weiß gar nicht, warum sich alle so aufregen. Gestern habe ich es angekündigt und heute gemacht.“ Im übrigen habe er den DLV bereits vor zwei Tagen gebeten, den Sekt kaltzustellen. Stinken tut ihm nur, daß er den seit zwanzig Jahren bestehenden DLV-Rekord von Sepp Schwarz (8,35) nicht brechen konnte: „Der letzte Versuch hatte sicher 8,40, war aber Übertritt.“ Egal, den Rekord holt er sich in einigen Wochen beim Sportfest in Tokio, wo er anschließend ein Praktikum bei Zeiko machen wird.

Eigentlich liebäugelt Haaf gerne mit dem Risiko: Halleneuropameister wurde er mit dem letzten Versuch. Findet er viel spannender so. Doch diesmal riß er sich schon beim dritten Anlauf zusammen: 8,25. Europameister. Gelassen nahm er die Weite auf, keine Regung. „Wir waren ja mitten im Wettkampf, hätte ja noch mehr kommen können.“ Aber dafür war die Konkurrenz schlichtweg zu schwach, und die Pausen zwischen den Versuchen waren erheblich zu lang. Von 17-21 Uhr dauerte der Wettkampf, der ohne Titelverteidiger und Europarekordler (8,86) Robert Emmijan (UdSSR) stattfand. Der Superchamp war in der Qualifikation dreimal über den Plastelinstreifen gestolpert: Übertritt, Abtritt, Bahn frei für Haaf.

Der brachte es im Endkampf auch auf drei Fehlversuche: „Wenn die Zuschauer so begeistert klatschen, freut ma‘ sich scho‘ und mächt längere Schritt“, erklärt der Schwabe, der seinen Anlauf voller Begeisterung um 80 Zentimeter zurückverlegte. Die Konstanz - in vier Wettkämpfen sprang er dieses Jahr über acht Meter - sei hauptsächlich eine Sache der Erfahrung. Ansonsten verläßt er sich getrost auf seine Anlaufgeschwindigkeit von 10,6 Metern pro Sekunde. Und sein Erfolgsgarant überhaupt: „Ich habe ein unglaublich schnelles Fußgelenk.“ Damit setzt er den Speed blitzartig in Weite um.

Was aber anstrengend sei, müde ist er jetzt. Dennoch reicht die Kraft, um noch einmal gegen den DLV zu treten, dessen optimalgeförderte Athleten in Split bislang nichts Rechtes zustandebrachten. „Ich denke, meine Leistung war EM-würdig. Vielleicht bekomme ich jetzt doch die Optimalförderung.“ Und einen Mercedes vom Sponsor, denn Haafs USA-Stipendium ist abgelaufen, das siebte Semester findet wieder in Stuttgart statt.

Bei der Weltmeisterschaft in Tokio 1991 sieht er für sich schon eine Medaille funkeln. „Mit meinem Körper, ohne Doping, kann ich 8,40 bis 8,50 schaffen. Das reicht.“ Was das bedeute: „mit meinem Körper“? - „Na, ich bin der kleinste Weitspringer der Welt. Und wachsen tu ich nimmer.“

-miß

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