Neulich ... im Schreibwarenladen

■ Von der Anarchie des Nicht-Wiederweglegens und der Perfidie des Verkaufspersonals und der Realität des Surrealen

NEULICH ...

... im Schreibwarenladen

Von der Anarchie des Nicht-Wiederweglegens und der Perfidie des Verkaufspersonals und der Realität des Surrealen

Ein Besuch im Schreibwarengeschäft gehört zu den Vergnügungen, die recht und billig sind. Meterweise weißes Papier, kiloweise Klebstoff, schreibweise Schreiberlinge, alles zum Greifen da und bezahlenswert - Herz, was willst du mehr! Vielleicht Radiergummiherzchen? Treten wir näher:

Ein Kind steht neulich in einem Schreibwarengeschäft. Das Kind steht da - berauscht von der Schreib-Warenwelt - und will nicht wissen, was sich gehört und anderen. Darum gehört ihm die Welt noch zu Vierfünfteln. Zu den Vierfünfteln zählen unbedingt Radiergummiherzchen. Die Mutter ist versunken in Tortendeckchen - soll man da stören? Ein kleiner Seitenblick zu der Verkäuferin - Typ Tentakelauge -, ein kleiner Griff, und ein Herz hat die Seite gewechselt.

Ja, ist denn das die ...! Alle Tentakelaugen aufs Kind. Die Mutter blickt stumm auf den Tortendeckchen herum und sieht sonst gar nichts.

Sekunden verstreichen. Genug jetzt: „Schön wieder weglegen, junger Mann!“, raspelt die Stimme der Verkäuferin die Stille, „gell? Das gehört sich nicht! Gib‘ schön den Radiergummi der Tante zurück!!“

Die Mutter zuckt aus den Tortendeckchen, in ihrem Gesicht geschrieben stehen Kinderladen, Willenlassen, „Eigentum nein danke„-Aufkleber an der Eigenheimtür. Aber Verkäuferinnen besitzen eine Autorität, die macht grausen, auch wegen dem Publikum. Die Mutter schwankt, die Verkäuferin festigt sich: „Hat deine Mama dir denn nicht beigebracht, daß du nicht einfach anderer Leute Sachen nehmen darfst?“ Der Kleine macht ein Fäustchen ums Herzchen und brüllt probeweise einzweimal.

Die Mutter wendet ihr Herz gegen ihr Fleisch und Blut: „Oliver, mach‘ hier jetzt bitte keinen Aufstand. Du hast drei Radiergummis zu Hause.“ Na und? Ist da etwa ein Herz bei? Hat sie nicht auch schon Tortendeckchen zu Hause?

Von weitem naht Verstärkung, blusengestärkte, busenwogige; kurzum: eine gerüstete Kollegin, die macht kurzen Prozeß, der sind verräterische Mütter gerade recht: Entkrampfen will sie Klein-Olivers Fäustchen. Klein-Oliver megakreischt. Die Mutter will schnell Tortendeckchen zahlen, aber keiner denkt jetzt an echtes Geld. Zwei grauhaarige Kundinnen verbünden sich mit der ersten Verkäuferin: wo käme; man hin; wenn alle; Ordnung; Eigentum; Mütter; Kinder; nix da, die Köpfe kommen mit schütteln nicht nach.

Da reißt die Mutter in Fluchtabsicht eine Schachtel mit Glaskugeln vom Regal. Der Geschäftsführer naht. Klein-Oliver verstummt verzückt, legt das Radiergummiherzchen in das dafür vorgesehene Kästchen und nimmt sich einen Weltkugelspitzer.

Gut, daß er ihn gleich weggesteckt hat, sonst hätt's bloß wieder jemand gesehen. Ein ergreifendes Beispiel, wie man Mütter schont. Claudia Kohlhas