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Klare Position vermißt

■ "Helmut Pohl: Kooperation mit DDR-Behörden", taz vom 25.8.90

betr.: „Helmut Pohl: Kooperation mit DDR-Behörden“,

taz vom 25.8.90

Im Vertrauen darauf, daß die taz wahrheitsgemäß wiedergegeben hat, was Helmut Pohl in seinem offenen Brief geschrieben hat, beziehen wir uns auf seine Äußerung es sei „von Anfang an ein Fehler“ gewesen, jene zehn Aussteiger in die RAF aufzunehmen.

Wir, daß sind fünf Menschen aus der Anti-Startbahn -Bewegung, die nicht den Anspruch haben, für die gesamte Bewegung zu stehen, aber ein Teil davon zu sein.

Zweidreiviertel Jahre nach den Schüssen an der Startbahn -West haben wir einen anstrengenden, aber auch ungemein wertvollen Zeitabschnitt hinter uns: Wir haben uns unserer eigenen Vergangenheit gestellt.

Die Bewegung hat nicht ausgeschlossen, daß die Schüsse aus den eigenen Reihen kamen; die Tat wurde verurteilt, nicht aber der/die Täter; von einzelnen „Verrätern“ wurde sich distanziert, aber nicht von der eigenen Vergangenheit als Bewegung, die diese „Verräter“ hervorgebracht hat.

Im Laufe der - teilweise schmerzhaften - Aufarbeitung von Fehlern der Vergangenheit ist es uns nicht in den Sinn gekommen, zu sagen: „Es war von Anfang an ein Fehler, den/die VerräterInnen in die Bewegung aufzunehmen“, sondern wir haben gelernt zu sagen: „Es war ein Fehler, die Widersprüche, die von Anfang an in uns und zwischen uns auftauchten, weggebügelt und teilweise bewußt „übersehen“ zu haben. Die einzelnen Menschen in der Bewegung wurden nicht so sehr in ihren Widersprüchen integriert, sondern viel zu sehr als radikale Kämpfer auf ihre Funktion reduziert und gebraucht. Und das war unsere gemeinsame Vergangenheit und damit unser gemeinsamer „Verrat“.

Wir werden weder von unserer Radikalität ablassen, noch werden wir unsere Militanz einmotten. Wir wollen aber unsere Vergangenheit und unsere Fehler nicht einfach „bewußtlos“ hinter uns lassen. Weder durch Abschwören und Verrat einerseits (Iih war ja nie so richtig dabei), noch durch Beharren auf oder Verdrängen von Fehlern andererseits (solche Leute reinzulassen, war ein Fehler von Anfang an; nur Kämpfer ohne innere und äußere Widersprüche gehören zu uns).

In diesem Sinne vermissen wir - nicht erst seit dem letzten Hungerstreik - von Gefangenen wie Helmut Pohl, Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar, Karl-Heinz Dellwo und auch von vielen anderen eine klare Position zu den Fehlern der RAF in der Vergangenheit. Heute vor allem eine Position, die erkennen läßt, wie im Bewußtsein einer gemeinsamen Vergangenheit die Tatsache aufgearbeitet wird, daß die einstigen Mitkämpfer und Genossen heute in einem Aussagenkarussell sich und andere in die Pfanne hauen, daß es nur so raucht. Was es bisher hierzu zu hören gab, ist mehr als dürftig und meilenweit entfernt von dem, was die Anti-Startbahn-Bewegung zu sagen geschafft hat.

Für eine solche Auseinandersetzung, wie sie Eva Haule während des letzten Hungerstreiks bereits in ihren Briefen ansatzweise begonnen hat, dürfte doch jede/r Gefangene aus der RAF in der Lage sein. An Anknüpfungspunkten „draußen“ mangelt es wahrlich nicht. Wenn es so weitergeht wie bisher, werden die einen ihre Vergangenheit in weiteren „Hungerstreik-Siegen“ begraben und die anderen als Aussteiger bei den Staatsbehörden mit ihrer Vergangenheit abrechnen. Mit revolutionärer Praxis hat beides nichts zu tun, und eine Perspektive für die Zukunft ergibt sich daraus erst recht nicht.

Liebe und Kraft für alle Gefangenen; wir warten auf Antwort.

Fünf Menschen aus dem Rhein-Main-Gebie

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