: „Deutsche Instinktlosigkeit“ versus „polnische Großmut“
■ Polen dürfen nicht mehr frei nach Westberlin reisen
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Der Vorgang ist ungeheuerlich. Und niemand vermag noch zu entscheiden, was mehr Scham über die deutsche Politik auslösen soll: die Form oder der Inhalt. Denn ausgerechnet zum 51. Jahrestag des Einmarsches der deutschen Truppen in Polen haben die beiden Deutschländer und die drei West -Allierten neue Bestimmungen für Polen erlassen, die nach Westberlin einreisen wollen.
Dadurch werden alle Beteuerungen deutscher Politiker, mit dem Nachbarland Polen ein neues Kapitel der Geschichte aufzuschlagen, ad absurdum geführt. Rücksicht auf die Gefühle der Menschen im östlichen Nachbarstaat war noch nie hervorstechendes Merkmal (west-) deutscher Polenpolitik. In diesem Fall jedoch vermißt man sogar das Mindestmaß diplomatischer Eloquenz.
Allein der Inhalt der Regelung - restriktive Einreisebestimmungen auch nach West-Berlin einzuführen reicht schon aus, alle Polen zu beleidigen. Sich zur Einführung dieser Bestimmungen ausgerechnet den 1. September auszusuchen, ist ein Höhe- beziehungsweise Tiefpunkt an Instinktlosigkeit.
Trotz aller Beteuerungen aus dem Bonner Außenministerium und dem Bundespräsidialamt, nach den Revolutionen in Osteuropa auch gegenüber diesen Nachbarn die Grenzen offenzuhalten, geschieht also gerade das Gegenteil. Die Grenzen gegenüber den Opfern des deutschen Krieges und der stalinistischen Herrschaft werden weiter abgeschottet.
Die Westberliner übernehmen faktisch eine unter Honecker eingeführte Regelung, die seit Anfang der 80er Jahre dazu diente, aufmüpfige Polen aus dem Lande von Solidarnosc mit dem populären Argument aus der DDR fernzuhalten, die Polen kauften die Regale leer.
Doch nicht einmal das Argument, bisherige DDR-Gesetze seien nun obsolet, hat die deutschen Politiker in Ost und West gebremst. Vielmehr wurde ein Honecker-Gesetz noch in eine höchst arrogante Geste eingepackt. Daß gerade gegenwärtig Massen von DDR-Bürgern - visafrei versteht sich - in Polen billig einkaufen, ist mehr als eine Fußnote, die zu erwähnen unbedingt dazu gehört.
Höchst verwunderlich ist zudem die Haltung der West -Allierten, denn die betroffenen Polen sind immerhin Bürger einer Siegermacht des Zweiten Weltkriegs; ein Faktum, daß in der Bundesrepublik kaum je richtig bewußt war. Ein früherer Termin für die Aussperrung polnischer Touristen aus der ehemaligen Halbstadt West wurde auf Grund allierter Querelen zwar bisher verhindert. Die jetzt gegebene Zustimmung ist allerdings auch für sie kein Ruhmesblatt.
Wie großmütig nimmt sich dagegen die jetzige polnische Führung aus, die bemüht ist, einer anderen politischen Kultur die Feder zu führen und im eigenen Land um Verständnis für die Deutschen zu werben. Am 51. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen erinnerte der polnische Außenminister an das Schicksal der schlesischen, pommerschen und masurischen Heimatvertriebenen.
Erich Rathfelder
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