: Grüne ratlos im Umbruch
■ In Kassel stellten sich Funktionäre der Grünen (West) und Bürgerbewegungen (Ost) mit ihrer Plattform vor: Wahlkampfauf- takt. Bei Bonn tagte derweil die „Intellektuellenschiene“ (Partei- sprecher Ströbele). Thema: „Grüne im Umbruch“. Dort erschien den gemeinsam Wahlkämpfenden das Trennende als Chance.
Grüne (W) und Bündnis 90 (O)
In einer Art war sie auf jeden Fall ein Erfolg, diese erste öffentliche Auseinandersetzung von West-Grünen und den Bürgerbewegungen aus der DDR in Bonn: Sie dokumentierte das Getrenntsein. „Ich habe hier fast körperliche Schmerzen“, sagte Peter Hildebrand, grüner Volkskammerabgeordneter. Die anwesenden DDRler schwankten zwischen Unwillen, Enttäuschung und offener Empörung über die - wie sie es nannten „Dialogunfähigkeit“ der West-Grünen. Sie empfanden deren Begriffsradikalismus als autistisch und luxierend. Für Bärbel Bohley, Wolfgang Ulmann, Jens Reich, Gerd Poppe, samt und sonders überarbeitet und übernächtigt, ging es ums politische Überleben, um die Behauptung im vereinten Deutschland, um die sozialen Erschütterungen der DDR. Gerd Poppe klagte „gemeinsame neue deutsche Opposition“ ein und fühlte sich düpiert, daß die West-Grünen eine Thematik Weltmachtdebatte, feministische Begründung für die Ökologie, allgemeine Begriffsklärung über Demokratie - vorgegeben hatten, die weder mit der DDR noch mit den brennenden Fragen einer gemeinsamen Politik zu tun haben.
Dabei sollte dieses Treffen nach den Worten der Initiatorin Antje Vollmer ein richtiger „Auftritt“, die erste öffentliche Darstellung dieser neuen politischen „Allianz“ sein. Diese Möglichkeit ist allerdings durch die Begleitumstände und die Querelen im Vorfeld weitgehend verspielt worden. Bei der Planung vor drei Monaten, als nicht wenige West-Grüne nur die Ost-Grünen als Partner wollten und nicht die Bürgerrechtsbewegungen, sah der Vorstand in einer solchen Idee der Auseinandersetzung einen Spaltungsversuch durch den „Aufbruch“. Mitglieder des Bundesvorstands reisten in der DDR herum, um zu warnen. Das Treffen selbst wurde vom Bundesvorstand nicht finanziert. „Vorstandsmitglied Meyer: „Wir finanzieren keine Strömungstreffen.“ Die Folge war, daß aus Geldmangel nur die trostlose, neobrutalistische Gesamtschule angemietet werden konnte fernab von Bonn, auf der grünen Wiese.
Das Trennende und das Gemeinsame sollte Thema sein. Gemeinsamkeiten wurden allenthalten beschworen, das Trennende wurde bestenfalls benannt, nicht analysiert, obwohl es am ehesten vermittelte, daß die „neue deutsche Opposition“ die politische Landschaft bereichern könnte. Am deutlichsten zeigte der geschliffene Vortrag von Jens Reich, daß aus der DDR ein politischer Beitrag kommen kann, der für alle Parteien und ganz besonders für die Grünen bitter notwendig wäre: nämlich Selbstironie und Lust an der öffentlichen Rede. Jens Reich war es auch, der das „Strömungsgerangel“ und den „magensauren Disput“ der Bundesgrünen angriff. „Ihr im Westen“, so sagte er, „habt keinen wirklichen Sieg errungen“, aber die Gesellschaft wie ein „Pilzgeflechtrasen“ durchdrungen, während die Bürgerbewegungen in der DDR nach dem unerwarteten Sieg den Kontakt zum Volk verloren haben. Man müsse jetzt davon ausgehen, daß man „keine Alternative zu den Herrschenden“ sei. Laut wurden sie, als Christina Thürmler-Rohr einen theoretischen Generalangriff auf die Tausende Jahre alte „männliche Monokultur und Geschlechtsapartheid“ begann und Ökologie als Kampf gegen das Patriarchat definierte. Die West-Männer spalteten sich sofort in zwei Fraktionen: die einen badeten in Betroffenheit, und den anderen ging's zu weit. Wolfgang Ulmann pointiert in seiner heiteren Art den Unmut der DDRler: Ob er denn jetzt die DDR-Frauen, die die Krippenplätze und die Arbeitsplätze verlieren, zum Kampf gegen das Patriarchat auffordern solle?
Dieser Gegensatz zwischen den Westlern, die nach den fundierenden Begriffen der Politik, und den Ostlern, die nach der Politik selbst suchten, zog sich durch die ganze Veranstaltung. Ekkehard Krippendorf wollte für die künftige Demokratie den Begriff „Utopie“ abschaffen und durch den Begriff „Perspektive“ ersetzen. Nur in der Podiumsdiskussion am Abend, zu der der Bundesvorstand, daß heißt vor allem Christian Ströbele, aus Kassel von der Konkurrenzveranstaltung angefahren war (eine Versöhnungsgeste), kam noch einmal ein reales Problem jener Allianz von Bürgerrechtsbewegung und Grünen auf. Bärbel Bohley, die die Allianz ohnehin ablehnt, sprach sich für die Macht der „Straße“ aus. Sie sieht nicht ein, daß für den Wunsch von sieben Leuten, ins neue deutsche Parlament zu kommen, nun die Mühe des Wahlkampfes unternommen werden solle. Auf der anderen Seite kritisierte Marianne Birkler den Fetischismus der Basis: „Die Basis ist ein Begriff wie der Morgenstern“, ein Begriff zum totschlagen also.
Gemeinsamkeiten zwischen Ost und West? Christian Ströbele sprach davon, daß sie alle „von der Straße herkommen“. Marianne Birthler schlug vor, das Trennende und die „Chance zur Außenansicht“ zu nutzen, die die verschiedenen Teile der neuen deutschen Opposition jetzt noch haben.
Klaus Hartung
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