Oberstes Prinzip: Den Mädchen glauben

■ Erstes Mädchenhaus in Berlin offiziell eröffnet / Im Vordergrund steht der Schutz vor physischer, psychischer und sexueller Gewalt / Fehlende Beratungsstelle sorgt noch für Schwierigkeiten

West-Berlin. Das erste Mädchenhaus der Stadt wurde gestern offiziell eröffnet. In dem Haus, das eng mit weiteren Einrichtungen wie Wildwasser und dem Jugendnotdienst zusammenarbeitet, können 14- bis 21jährige Frauen in einer akuten Notlage vorübergehend unterkommen.

Seit Mitte August bietet das Mädchenhaus mit seinen zehn Plätzen Schutz vor physischer, psychischer und sexueller Gewalt, vor allem in der Familie. Sieben Mädchen sind in dem Haus bereits untergekommen, darunter Frauen aus der DDR und Westdeutschland. Der Bedarf, so eine der Sozialarbeiterinnen, sei viel höher.

Gerade am Telefon jedoch zeigen sich nach Ansicht der Sozialarbeiterin die Lücken des Projekts: Eine offizielle Beratungsstelle gibt es nicht, da die Adresse des Mädchenhauses aus naheliegenden Gründen geheim gehalten wird, müssen sämtliche Vorgespräche telefonisch abgewickelt werden. Dabei sei es „natürlich schwierig, Vertrauen herzustellen“ und herauszufinden, ob die betreffende Frau „nur“ eine Beratung oder tatsächlich eine Unterkunft braucht. Auch Gespräche mit Eltern, die zumindest bei minderjährigen Mädchen ihre Zustimmung geben müssen, müßten deshalb schon mal „in der Kneipe“ stattfinden.

Wer in das Mädchenhaus aufgenommen wird, kann mit qualifizierter Beratung und Unterstützung der insgesamt neun pädagogischen Mitarbeiterinnen rechnen. „Die Mädchen sollen hier erst einmal Ruhe finden, aber sich auch Gedanken über ihr weiteres Leben machen und weitgehend eigenständig entsprechende Schritte in die Wege leiten.“ Oberstes Prinzip sei es, den Mädchen zu glauben. Zu oft hätten diese erfahren müssen, daß man sie der Lüge bezichtigte. Niemand werde angehalten, überhaupt etwas zu erzählen. Wer hier lebt, muß sich aber auch an bestimmte Regeln halten: Begrenzte Ausgangszeiten, nach Alter gestaffelt, bis auf Nikotin sind alle Drogen untersagt. Rund um die Uhr sind immer zwei Betreuerinnen da: „Besonders die älteren Mädchen suchen zu uns Kontakt, wenn sie abends nach Hause kommen, viele Gespräche laufen zwischen 23 Uhr und 3 Uhr morgens.“

Vier Monate, in Ausnahmefällen auch mal fünf, kann ein Mädchen hier bleiben - so lange zahlt die Senatsverwaltung für Jugend, Frauen und Familie jeweils 500 DM pro Monat. Eine Pauschalfinanzierung ohne Zeitrahmen wurde von der Verwaltung abgelehnt - „falls ein Mädchen länger bleibt, muß sie also um Sozial- oder Jugendhilfe bitten und wird somit aktenkundig“. Das gesamte Projekt wird in diesem Jahr von der Senatsverwaltung noch mit 653.142 DM unterstützt, für das kommende Jahr sind laut Senatorin Klein „mindestens 900.000 DM vorgesehen“. Den Angestellten ist das zu wenig: Schon jetzt, so heißt es dort, „schieben wir 15 bis 20 Überstunden pro Woche“. Gundel Köbke, Sprecherin der Senatsfrauenverwaltung, räumt ein, daß es im Vorfeld „harte Verhandlungen“ über Personal und Ausstattung gegeben habe: „Wir sind jetzt aber der Auffassung, daß das Projekt recht gut ausgestattet ist.“

maz

Das Mädchenhaus ist unter der Westberliner Telefonnummer 7920404 zu erreichen.