: Fragen an Biedermänner und Brandstifter
■ betr.: "Dem Pazifismus 'gewaltfrei die Luft abdrehen'", taz vom 30.8.90
betr.: „Dem Pazifismus 'gewaltfrei die Luft abdrehn'“,
taz vom 30.8.90
Udo Knapp (Die Grünen), der „kein Kriegstreiber“ sein will, fordert eine „deutliche Antwort (...) der zivilisierten und demokratischen Welt“ gegen Saddam Hussein, notfalls auch bewaffnet. „Oder wie soll man sonst so einen Verrückten aufhalten?“, rief Knapp in den Saal einer Frankfurter Veranstaltung, den der seine Schuldigkeit tuende Journalist Mohr nur deshalb „rufen“ läßt, damit er etwas Statur gewinnt.
„Zivilisierte und demokratische Welt“ („Wir“) gegen einen „Verrückten“? Kein rufender Knapp flüsterte auch nur einen Ton anläßlich des Tages von Halabja am 17. März 1988, obwohl die Beteiligung der seit 1914 mittels Gas Zivilisierenden längst bekannt war. 200.000 ermordete irakische Kurden in den letzten zehn Jahren beschäftigten ernsthaft keinen einzigen Politiker der grünen (und anderen) Prominenz. 30.000 zusätzliche kurdische Giftgasopfer gerieten der Solidarität der Demokraten zur unbedeutenden Marginalie. Davon, den fleißig belieferten Diktator zu stürzen, war damals nie die Rede, schon gar nicht bewaffnet.
Wir „Demokraten“ gegen Saddam, weil der die Juden (und bitteschön: auch die Araber der Westbank) zu vergasen droht? Ganz gewiß! Aber wenn man den Iraker einen „Hitler“ nennt, wie nennt man dann diejenigen Deutschen, die sich von ihren Vorgängern heute nur dadurch unterscheiden, daß sie dem Diktator Saddam das Gas und den Israelis die Schutzmasken liefern? Wieso hat eine grüne Bundestagsfraktion eine parlamentarische Sondersitzung zur Lage der in der Türkei geflüchteten irakisch-kurdischen Giftgasopfer explizit als „überflüssig“ abgelehnt, weil dafür kein Bedarf sei, während jetzt, wo es ums Benzin (Öl) geht, eine ökologische Partei Zeter und Mordio schreit? Warum, bitte, klagen die Grünen nicht als Fraktionskörperschaft gegen die Bundesregierung auf Schadenersatz im Namen der Überlebenden von Halabja? Wo nun sicher ist, daß der BND, dem Kanzleramt direkt unterstellt, über zwei seiner Leute den Gastransfer betrieben hat, mithin voll informiert war - weswegen sich juristisch der Vorwurf der Billigung durchaus ableiten ließe?
So viele Fragen an Biedermänner und Brandstifter, die lieber Krieg führen, als ihre eigene Gegenwart zu bedenken. In angebrachter harter Auseinandersetzung mit dem dichtesten Netzwerk der BRD: den Todeskrämern und Wirtschaftschauvinisten, die namentlich alle längst bekannt sind.
Hans Branscheidt, Medico international, Frankfurt am Main
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen