: GEFÄHRLICHE KASSIBER
■ Kritik an den „politischen Gefangenen“
Seit Monaten tobt durch die bundesdeutschen Knäste eine Bambule mit tatkräftigen Aktionen, die, unterstützt durch Presseberichte und Knastdemos, rege Anteilnahme in der Bevölkerung finden. Aber in diesem Bericht möchte ich auf ein paar Dinge zu sprechen kommen, die nicht nur ich, sondern auch andere Gefangene nicht gut finden.
Kassiber, besonders wenn sie brisanten Inhalt haben, sind nach Erhalt zu vernichten - das ist eine der elementarsten Grundregeln im Knast.
Daß politische Gefangene, gerade während der Knastbambule, unter anderem noch ein eigenes Kommunikationssystem aufbauen, ist verständlich und fast unumgänglich. Daß aber deren Kassiber, mit detaillierten Namens- und Zellenangaben, Funktion und Aufgaben: Hausarbeiter als Verteiler, Schreibmaschinenbesitzer zuständig für das Abtippen und Übersetzen usw. in deren Akten gesammelt werden, das ist schlichtweg eine Sauerei! Es ist ja schließlich bekannt, daß deren Zellen unregelmäßig und öfter durchsucht werden.
So ein detaillierter Kassiber hatte zur Folge, daß innerhalb weniger Tage über hundert Gefangene verschubt wurden, auch wenn das vielleicht nicht die einzige Ursache war.
Auf unserer Station wurde einer von den politischen Gefangenen im Zuge der Verschleppungsaktion verlegt, ein anderer kam. Wir rafften uns noch einmal auf, um was auf die Beine zu stellen, zu einem Sitzstreik draußen auf dem Hof. Aber der neu dazugekommene politische Gefangene lief wie doof im Kreis und brach die Aktion nach ein paar Minuten ab. Aber man kann doch nicht eine Aktion ansetzen, die Leute anleiern, daß auch ja alle mitmachen, und dann selbst nach ein paar Minuten nach oben gehen! Das heißt, daß auf längere Zeit erst mal nix mehr laufen wird.
Was viele Gefangene zusätzlich entgeisterte, war, daß einige sich dazu berufen fühlten, auch gleich den „provisorischen Gefangenenrat“ zu stellen, und ohne das Wissen der anderen Gefangenen Verbindungen zu Senatsmitgliedern aufnahmen und Gespräche führten. Hier muß daran erinnert werden, daß es die normalen Gefangenen waren, die die wichtigsten Forderungen eingebracht haben, sich mit ausländischen Gefangenen zusammentaten und, teils gegen Tabak und Kaffee, die Übersetzungen gewährleisteten. Daß den politischen Gefangenen viel Symphatie entgegengebracht wird, führt leider bei einigen dazu, daß sie sich als was besseres fühlen und das auch so raushängen lassen.
Ich möchte aber auch ein Gegenbeispiel anführen: A. J., der im Zuge der allgemeinen Zwangsverschleppung nach Butzbach verschubt wurde. Durch seine Person und sein Verhalten hier auf der Station sieben ist er uns immer noch gegenwärtig. Es vergeht kaum ein Tag, ohne daß sich jemand Gedanken um ihn macht. Oder es kommt zu einem kurzen Gedankenaustausch, weil die Jungs ihm wünschen, daß seine Revision von der Staatsanwaltschaft nicht durchgeht, oder daß er wegen seiner Krankheit haftunfähig geschrieben wird.
A. Ist einer der wenigen von den politischen Gefangenen, der für seine Gesinnung und seine Taten einsteht, und besonders als Mensch beachtet wird. Er hat für seine Mitgefangenen immer ein offenes Ohr und ist jedem behilflich, wenn es ihm möglich ist. In den letzten zehn Monaten konnte ich oft sehen, wie er häufig mit anderen die Freistunde drehte, wenn jemand neu herkam, besondere Probleme hatte oder sonstwas anlag. In der ganzen Zeit gab es kaum Zoff hier. Das lag mit daran, daß A. es verstand, daß man sich nicht aus dem Weg ging, sondern sich, zum Beispiel bei gemeinsamen Spielen zusammenfand. Das ist besonders bei dem hohen Ausländeranteil hier wichtig. Wenn einige von uns Deutschen diskriminierende Äußerungen von sich gaben, wurden wir regelmäßig von A. dafür angeblafft. Seinem Verhalten ist es wesentlich zu verdanken, daß hier auf dieser Station ein Gemeinsschaftsbewußtsein gewachsen ist.
Zum Schluß meines Beitrags möchte ich gern noch ein paar Tips loswerden, wie man die Zeit im Knast ohne durchzudrehen überstehen kann, auch um zu vermeiden, daß sich noch mehr GenossInnen am Fensterkreuz aufhängen oder abticken. Ein alter Hase in Hamburg hat mir mal diese Anregung gegeben.
Versuch mal, dich in deiner Schuhschachtel blind zurechtzufinden. Auch nach zwei, drei Monaten Aufenthalt da drin wirst du merken, daß es gar nicht so einfach ist. Du wirst dir zwar blaue Flecke dabei einhandeln, aber es macht Laune. Versuche, deine Sinne zu schärfen, leg dich auf dein Bett und versuche alle Dinge, in deinem Loch zu erfassen. Weißt du, wo sie liegen?
Mach dir einen Plan, irgendetwas intensiv und systematisch zu machen. Schreiben, basteln, irgendetwas findet sich. Ich habe aus dem Grund mit dem Schreiben angefangen, jeden Tag vier Seiten, sehr intensiv, Meinungen, Begebenheiten, Tagesabläufe, Gespräche.
Im Knast gibt es auch eine Menge Leute, die Schonkost bekommen. Dies ist meistens in Alufolienbehältern. Aus denen läßt sich zum Beispiel auch gut was basteln.
Das waren nur ein paar Anregungen, um die Tage, Wochen, Monate und Jahre zu überstehen, ohne daß sie es schaffen, dich zu zerbrechen.
Frankfurt-Preungesheim, K. S.
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