: Die Wiederentdeckung Rodtschenkos
■ Rodtschenko-Ausstellung im Fotoforum mit Verwandtschafts-Besuch: Alexander Lawrentjew, Enkel des russischen Avantgarde-Fotografen
Alexander Lawrentjew, geb.1954, ist Kunstwissenschaftler und Designer. Gemeinsam mit der ganzen Familie Rodtschenko verwaltet er den Nachlaß seines Großvaters, soweit er nicht über zehn verschiedenen russischen Museen verstreut ist. Mit Lawrentjew sprach Rainer B. Schossig am vergangenen Montag.
Rodtschenkos selbstverfaßter, ein wenig poetischer Lebensrückblick, beginnt mit einer Erinnerung an das Theater. In dem Petersburger Haus, in dem er geboren wurde und aufwuchs, war im Parterre eine Vorstadtbühne untergebracht. Später wurde Rodtschenko Maler und Fotograf. Hatte seine Kunst etwas mit dem Theater zu tun?
Alexander Lawrentjew: Natürlich waren diese allerersten Kindheitseindrücke wichtig. So war es für ihn lange unverständlich, daß es in anderen Häusern keine Bühnen gab. Das ja doch etwas vom Leben abgelöste Dasein des Theaters empfand er als keineswegs unnatürlich. Für ihn war sozusagen die Phantasie, das Künstliche etwas Fraglos-Natürliches.
Die frühen Fotografien Rodtschenkos, die jetzt in Deutschland in einer Wanderausstellung z.T. zum ersten Mal in der Bundesrepublik gezeigt werden, hatten schon damals eine starke Ausstrahlung bis hierher, z.B. ans Bauhaus. Wie kam Rodtschenko damals in der Sowjetunion zu seiner typischen dynamisch-optimistischen Fotografie?
Es begann 1924, mit dem Kauf einer Kamera. Aber der Maler Rodtschenko arbeitete zunächst ganz dokumentarisch damit; er wollte Zeiteindrücke festhalten. Als Künstler begann er aber schnell, auch aus der Fotografie eine Kunstform zu machen. Er machte Fotomontagen, er wollte
Ausdruck in die Bilder legen. Hinzu kommt, daß etwa im Jahre 1924/25 die ersten Veröffentlichungen des Weimarer Bauhauses auch nach Rußland gelangten, Bücher von Franz Roh und Moholy -Nagy, und diese bestärkten ihn in seiner Auffassung, daß die Technik der Fotografie sehr wohl eine Kunstform ist, die weiterentwickelt werden kann als Ausdrucksträger.
Aber es hat den Anschein, daß man auch am Bauhaus sehr früh, schon Mitte der 20er Jahre, Rodtschenkos Foto-Arbeiten kannte und auch nachzuahmen versuchte.
Am Bauhaus kannte man ihn als Maler und allenfalls mit seinen Fotomontagen. Aber erst 1925 machte Rodtschenko seine ersten eigenständigen Fotografien, diese wurden also am Bauhaus erst nach 1926 bekannt.
Wenn man sich jetzt die hier gezeigten Bilder ansieht, dann hat man den Eindruck, daß das Pathos des „Neuen Sehens“ in den 30er Jahren nach und nach versickert, die Kamera wieder konventionell wird, da Rodtschenko Staatsaufträge absolviert, Agitations- und Propaganda-Fotografie macht. Wie hat Rodtschenko die gesellschaftlichen Verhärtungen der Stalin-Zeit, der Schau-Prozesse, wahrgenommen?
Ich habe in dem Buch, das ich derzeit über meinen Großvater schreibe, ein ganzes Kapitel diesem Problem gewidmet. Verkürzt gesprochen: Rodtschenko hat die Ursachen für die Depression immer eher bei sich selbst gesehen, die Fehler und Mängel immer eher in seiner Arbeit als in der großen Politik gesucht. Bis 1932/33 hat er mit den staatlichen Neuanfängen in Sport, Kultur und Politik sehr sympathisiert. Erst für das Jahr 1938 habe ich Bewei
se gefunden, daß er Angst und Schrecken bekam vor dem, was sich tat. In den Jahren dazwischen mag er sich seinen eigenen Reim darauf gemacht haben, aber fixiert, niedergeschrieben hat er seine Sorgen erst 1938. hierhin bitte
den Herrn
im Halbschatten
sitzend
Porträt Rodtschenkos
Aber nicht veröffentlicht?
Nein, es sind atmosphärische Eintragungen. Er schreibt z.B. in sein Tagebuch: „Es ist Sommer, es ist furchtbar heiß, die Fußböden knacken und reißen auf. Und ich schaffe keine rechte Arbeit.“ Und er sucht prompt die Schuld dafür bei sich selber, nicht aber in den äußeren Umständen. Und plötzlich findet sich dann so eine Passage: “ Die Leute verschwinden von der Straße und kommen
nicht mehr wieder, und es gehen Gerüchte um, daß viele Menschen unschuldig leiden.“ Dazu kommen weitere Eintragungen wie: „Ich möchte gerne die Schicksale von Leuten, die verschwunden sind, festhalten.“ von Warwara Stepanowa, 1926
Aber da er kein Zeithistoriker war, unterblieb dies und er dachte sich eben nur sein Teil. Im Sommer und Herbst 1938 geht es dann in seinen Eintragungen schon um die politische Lage in Europa. Er äußert eine große Enttäuschung über die westeuropäische Kultur. Es sei eine Kultur, die nicht im Stande sei, den Vormarsch des Faschismus aufzuhalten.
War er in dieser Zeit unvermindert weiter künstlerisch tätig?
Nein, nur ganz wenig. Er macht den Eindruck von tiefer Enttäuschung, ja Verzweiflung. Das einzige, was ihn aufrecht erhält, ist die Arbeit mit seiner Ehefrau Warwara Stepanowa. Sie machen gemeinsam Fotobücher, arbeiten für Zeitschriften, allerdings eine zweitrangige künstlerische Arbeit, keine eigenschöpferische mehr. Und erst ab 1941/42 öffnet sich wieder ein Fenster zum Leben, er faßt sich wieder und schafft eigenständige Arbeiten.
Man hatte ihn persönlich ja auch angegriffen, als „Formalisten“ kritisiert. Hatte er danach noch kulturpolitische Wirkungsmöglichkeiten?
Er ist mehrere Male als „Formalist“ gemaßregelt worden. Das erste Mal war das 1928, als man nur sehr selten diesen „Formalismus„-Vorwurf erhob. Daher war er schon früh geimpft, also immun gegen eine solche Kritik.
Hatte er damals eigentlich Kontakt zu ausländischen Avantgarde-Kollegen, wie zu der Zeit des ästhetischen Neubeginns Anfang der 20er Jahre?
Nein, er hatte ja keine Sprachkenntnisse. Als er 1935 in Paris war, war es Ilja Ehrenburg, der ihn herumreichte. Er traf da auch Picasso; aber man verneigte sich schweigend voreinander, das war's. Ihm fehlte die Sprache, um kommunizieren zu können. Eine Ausnahme war, daß er 1929 für den Bauhaus-Typographen Jan Tschichold einige Lieder schrieb. Sie standen in Briefwechsel, und die Briefe an ihn und von ihm übersetzte die Frau von Tretjakow. Aber es blieben nur ganz wenige Briefe, denn 1933 änderte sich ja die Lage vollständig.
Ab 1933 war er ganz abgeschnitten vom Ausland?
Ja.
Und danach kam eine lange Zeit
des Schweigens. Wann wurde Rodtschenko später in der Sowjetunion wieder ausgestellt?
Das kann man sehr genau datieren. Die ersten Erwähnungen Rodtschenkos tauchen in den Zeitschriften zwei, drei Monate nach seinem Tod 1956 wieder auf. Und seine Frau Warwara Stepanowa war es, die ein Jahr nach seinem Tod, 1957, eine erste große Retrospektiv-Ausstellung gemacht hat. Das war im „Journalistenhaus“ in Moskau. Es war keine allgemein -öffentliche Ausstellung, aber immerhin eine, die innerhalb des Hauses zugänglich war. In dieser sehr umfangreichen Ausstellung wurden seine Malereien gezeigt, seine Projekte und natürlich auch seine Fotografien. Und erst in dieser Zeit begriffen auch seine Weggefährten, was Rodtschenko doch für ein Mensch gewesen war.
Nach dieser ersten Wiederentdeckung in der „Tauwetter-Zeit“ kam dann die lange Phase der Stagnation der Breschnew-Ära. Wie sieht man nun heute, im Zeitalter der „Perestroika, das Werk Rodtschenkos?
Nun, das Interesse an ihm ist sehr groß. Und auch die Verlage haben begriffen, daß da Material ist, das endlich veröffentlicht werden muß.
Machen Sie die Herausgeber-Arbeit ganz allein?
Nein, daran arbeitet sozusagen die ganze Familie. Jetzt leben wir quasi alle in Vorbereitung des großen Jubiläums. Denn im nächsten Jahr jährt sich Rodtschenkos Geburtstag zum 100. Mal. Aus diesem Anlaß soll es eine große Ausstellung über ihn und seine Frau in Wien geben, zu der ein umfangreicher Katalog schon in Vorbereitung ist, mit mehr als 600 Illustrationen.
Die Ausstellung ist bis 26.9. zu sehen
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