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G A S T K O L U M N E

■ Antwort der Sozialwissenschafts-Professorin Michaela von Freyhold auf Thesen von Ralf Fücks (taz vom 1.9.)

„Jetzt zeigt sich die Handlungsunfähigkeit der Friedensbewegung“, stellte der Journalist Willi Huismann am Dienstag abend fest, als gut 30 grün-alternativ orientierte BremerInnen nach einer Position zum Kuwait-Konflikt suchten. „Alternativen zur Kanonenpolitik“ hieß das Motto, unter dem die Grünen ins Bürgerhaus Weserterrassen geladen hatten. „Als es um die Stationierung der Mittelstreckenraketen ging, waren Millionen auf der Straße. Wenn die Waffen mit logistischer Unterstützung der Bundesrepublik jetzt eingesetzt werden, dann sind alle in Urlaub“, beklagte Huismann.

Einen Grund dafür nannte der grüne Bundestagskandidat Ralf Fücks: „Es gibt keine richtige Seite in dem Konflikt.“ Einzige klare Aufgabe sei es deshalb, mit allen Mitteln einen Krieg zu verhindern. Gegen einen bedingungslosen Abzug der US-Truppen aus Saudi Arabien sprachen dann jedoch vor allem die Professorin Michaela von Freyhold und der Ortsamtsleiter Hucky Heck. „Es kann doch von der Völkergemeinschaft nicht einfach hingenommen werden, daß ein Staat mal einen anderen schluckt“, sagte Heck.

Über Aktionen, die aus der Debatte folgen könnten, bestand Ratlosigkeit. Walter Ruffler, zweiter grüner Bundestagskandidat, forderte einen lauten Aufruf zur Desertion aus Bundeswehr und US-Army. Vereinbart wurde dann zunächst die Fortsetzung der Diskussion mit einer fachkundigen ReferentIn.

Ase

Im folgenden Text antwortet die Bremer Sozialwissenschafts -Professorin Michaela von Freyhold auf die Thesen von Ralf Fücks in der taz vom 1.9.90:

„No Germans to the Front“ steht im Titel des Aufsatzes von Ralf Fücks. Wer gemeint hat, es handele sich dann im Weiteren um einen Protest gegen die Entsendung deutscher Truppen in die Golfregion, weil das dem Grundgesetz und dem bisherigen Statut der Bundeswehr widerspricht, wird eines besseren belehrt. Schließlich sei nach vierzig Jahren Demokratie, der APO von 68, der gewaltfreien Revolution in der DDR (was haben die damit zu tun?) und der zunehmenden Integration der BRD in supranationale Strukturen (wie etwa der Nato?) „die Kontinuität zur nationalsozialistischen Eroberungspolitik zerbrochen. Sie wird sich auch so nicht wiederholen.“ Nein, so wohl nicht.

Trotzdem hätte eine Nation, die zweimal in diesem Jahrhundert den Rest Europas überfallen hat, wohl guten Grund, sich mindestens für die nächsten hundert Jahre eine besondere Selbstbeschränkung aufzuerlegen, und gerade von den Grünen wäre doch zu erwarten, daß sie sich gerade nicht dem Chor derer anschließen, die gerne hätten, daß die BRD jetzt endlich auch wieder alles darf. Und dann noch ausgerechnet mit Hinweis auf die APO die neue Normalität beschwören!!!

Neben der Beteiligung der Bundesmarine ist es aber vor allem die Rolle der USA und deren Weltpolizistgebaren, das die Öffentlichkeit erregt und sicher auch, da der Antiamerikanismus in arabischen Ländern ebenso weit verbreitet ist, den islamischen Fundamentalismus weiter schürt. Wer allerdings fordert, daß die USA aus dem Golf wieder abziehen, muß sagen, was er stattdessen will. Fücks schlägt vor, Saddam Hussein allein mit dem Ölboykott zu bezwingen. Schlau gedacht: Solange Saddam Hussein nicht bemerkt, daß dieser Boykott für den Westen nur solange locker zu verkraften ist, als es nur um einen kleinen Teil des Öls geht. Hussein braucht nur in Saudi-Arabien und eventuell den Vereinigten Arabischen Emiraten einzumarschieren und schon würde der Boykott auch für den Westen schwer erträglich werden. Wer die USA nicht im Golf haben möchte, aus guten Gründen, und auch nicht wünscht, daß Israel eingreift, der muß eine Alternative nennen.

So scheint denn die Forderung Arafats, die US-Army durch UNO-Truppen zu ersetzen, die sich dann auch darauf festlegen lassen, daß sie eben nicht den Irak angreifen, recht vernünftig. Fücks ist dagegen, weil eine derartige Truppe der demokratischen Willensbildung entzogen wäre, obwohl ja bislang alle UNO-Truppen mit Zustimmung ihrer legitimen Regierungen entsandt worden sind. Das schlechte an diesem Vorschlag sei auch, daß damit eine weitere Militarisierung internationaler Konflikte vorprogrammiert wäre. Um aber den Konflikt, nachdem er nun einmal militarisiert ist, möglichst schnell zu entmilitarisieren, bedürfte es allerdings neben einem effektiven Boykott auch politischer Angebote, die für Hussein den baldigen Rückzug attraktiv machen. Wie wäre es, wenn die Kuwaitis für die Wiederherstellung ihrer Nation dem Irak Streichung der Schulden, vielleicht sogar einen Anteil an den nördlichen Ölfeldern zugestehen würden? Wie wäre es jetzt mit der Einberufung einer internationalen Nahost -Friedenskonferenz mit dem Ziel, gleichzeitig die Errichtung eines Palästinenserstaates auf der Westbank und den Abzug des Iraks aus Kuwait zu erreichen? Was müßte man Israel, das wirtschaftlich in Schwierigkeiten ist und fast im Bürgerkrieg steht, dafür bieten an materiellen Anreizen (im Golf vorhanden) und Sicherheiten? Weil derartige politische Lösungen schwierig und außerhalb der Reichweite grüner Handlungsmöglichkeiten erscheinen, ist es einfacher, man denkt gar nicht darüber nach, fordert auch nicht, daß andere noch mehr darüber nachdenken und wendet sich lieber Lösungen zu, die sympathischer sind.

Die Frage, wie denn die USA davon abzuhalten wären, in nächster Zeit in einen mörderischen Krieg hineinzuschlittern, wird beiseite geschoben. Stattdessen wendet man sich tieferen Ursachen zu. Das ist so wie wenn jemand, wenn das Kind gerade dabei ist in den Brunnen zu fallen, sich damit begügt, die ungenügende Sicherung der Brunnen zu verdammen.

Zunächst sind da die Rüstungsexporte in die Dritte Welt, gegen die zu protestieren sei. Daß die Golfkrise eine Gelegenheit ist, darauf aufmerksam zu machen, wohin Rüstungsexporte führen, ist sicher richtig. Wenn schon, dann sollte man aber nicht nur vom Rüstungsexport sprechen, sondern auch von der Rüstungsproduktion, denn eine Rüstungsproduktion ohne Export ist fast nicht möglich. Daß diese Rüstungsexporte die Kriegsfolgen verschärfen, ist selbstverständlich richtig. Außerdem erschweren sie es jetzt dem Westen, mit militärischer Übermacht in den Konflikt einzugreifen. Es wäre aber zu einfach, diese Exporte auch zur Ursache des Konfliktes zu erklären. Selbst wenn in der ganzen Region noch wie zu Nebudkadnezars Zeiten mit dem Krummschwert gekämpft würde, hätte der Irak sich Kuwait einverleiben können. Nur Ölquellen wären damals als Beute nicht so reizvoll gewesen. Die Forderung nach einem Stopp der Rüstungsexporte ist notwendig und aktuell, aber weder eine ausreichende Antwort auf die Frage, wie denn die Golfkrise entmilitarisiert werden könnte noch wie man die USA aus ihrer Weltpolizistenrolle und die Bundesrepublik aus der Hilfssheriffrolle jetzt und in Zukunft herausholen könnte. Als vor einem halben Jahr vielleicht noch die Möglichkeit bestanden hätte, Gorbatschow in seiner Entschlossenheit zu bestärken, Gesamtdeutschland nicht in die Nato zu entlassen, da waren die Grünen und die Friedensbewegung stumm und ließen sich einreden, ein neutrales Deutschland wäre gefährlicher als eines in der Nato. Und was nun, da sich abzeichnet, daß Deutschland als logistische Basis von Golf- und anderen Südabenteuern der USA nach wie vor zu Verfügung steht und die Nato an ihren neuen Aufgaben wächst?

Genügt es da, uns darauf zurückzuziehen, daß wir alle ohnehin gegen Militär und Rüstung und für eine Veränderung unserer Produktions- und Konsumtionsweise sind? Genügt es wirklich, wenn wir unsere überlegene Moral demonstrieren und das für Politik halten? Oder haben wir uns damit abgefunden, daß wir als politische Kraft bei der Schaffung einer internationalen Friedensordung ohnehin nicht vorkommen? Wozu dann der psychische und geistige Aufwand, sich überhaupt in die Show einzumengen?

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