Die kurze Fahrt in Feindesland

■ Das diesjährige Laubenpieperfest im Bundeshauptdorf Bonn

Bonn. Derzeit von Berlin nach Bonn zu reisen ist wie eine Fahrt in Feindesland. So empfanden es manche Berliner Journalisten, die auf Einladung des Bundespresseamtes gestern zum Fest der Berliner Landesvertretung in Bonn, zum „Laubenpieperfest 1990“ anreisten. „Für Bonn spricht die Vernunft“, lautet eines der Plakate, die die Bonner Straßen zu einem Anti-Hauptstadt-Spalier machen; ein anderes vom SPD -Vorständler Ehmke: „Bonn muß Sitz von Parlament und Regierung bleiben„; und die Aufklebermanie der Bonner an ihren Taxen, Privatwagen und Hausmauern („Bock auf Bonn“ oder „Bonn, was sonst“) scheint weiter fortgeschritten zu sein als das Hauptstadtfieber der Berliner.

Bonn fieberte gestern nicht gerade der letzten autonomen West-Berlin-Visite in der Noch-Bundeshauptstadt entgegen, doch in den Gängen und Lobbys des Wasserwerkes, des Ersatzbundestages, war das Fest der Berliner Senatorin für Bundesangelegenheiten, Heide Pfarr, dennoch Gesprächsthema. Unklar war zwar noch, wer von der Bonner Hochprominenz Berlin seine Referenz erweisen würde. Klar war nur, daß Ost -Berlins Bürgermeister Tino Schwierzina in großer Begleitung erscheinen würde, denn auf den frühen Morgen um acht Uhr war die Sitzung der Ostberliner Stadtverordnetenversammlung vorverlegt worden, um ja pünktlich gegen 18 Uhr in Bonn zum Fest in der Joachimstraße sein zu können. Klar war auch, daß das Hauptthema des Laubenpieperfestes die Hauptstadtfrage sein würde. Berlin werde sich „diskussionsfreudig, multikulturell, vollwertig“ präsentieren, hieß es auf der Einladungskarte. „Die Metropole läßt grüßen - Sie dürfen gespannt sein!“

Ob Berlin Hauptstadt wird, ist für den SPD-Vorsitzenden und Berliner Abgeordneten Hans-Jochen Vogel keine spannende Frage mehr. Ab dem 3. Oktober sei Berlin Hauptstadt, das stehe so im Einigungsvertrag, der gestern in Bonn in erster Lesung beraten wurde - und auch, daß der Umzug der Regierung nach Berlin zwar eine Frage von Jahren, aber eben auch nur eine Frage der Zeit sei. Ein Mitspracherecht der Länder in dieser Frage sieht Vogel trotz einer in letzter Minuten in den Einigungsvertrag hineingeschriebenen Klausel nicht. Die Länder könnten nur darüber abstimmen, wo der Bundesrat demnächst seine Sitzungen abhalten werde, interpretierte Vogel. Und das habe auf die Entscheidung Hauptstadt mit oder ohne Regierungssitz keinen Einfluß.

Raul Gersson