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Megastar in Metamorphosen

 ■ Georg Baselitz in Düsseldorf

Von Klaus Englert

Der deutschen Kunst ist endlich wieder ein Megastar geboren. Die Pilgerschaft war denn auch reichlich erschienen, als man Ende Juli in der Düsseldorfer Kunsthalle Georg Baselitz die Referenz erwies. Daß der große Meister noch einen Monat vorher im Ost-Berliner Alten Museum mit einer eigenen Ausstellung präsent war, um nun auch seinen Ruhm in die ostdeutsche Heimat zu tragen, rief weniger die Skeptiker eines derartigen Mammutprogramms als vielmehr die gläubige Gemeinde auf den Plan. Auch in Düsseldorf verlief die Huldigung programmgemäß: Presse, Funk und Fernsehen standen parat, um den gigantomanischen Baselitz aus nächster Nähe zu präsentieren, gilt er doch derzeit als der teuerste deutsche Gegenwartsmaler. Allen Spekulationsgewinnern, denen die Golfkrise das Grauen und Grausen lehrte, dürfte ein Maler wie Baselitz als der Goldesel persönlich vorkommen, haben doch seine Bilder in den letzten Jahren eine Wertsteigerung um etwa das 15fache erfahren. Was bedeutet, daß man schon Millionär sein muß, will man denn ernsthaft an einen Kauf eines seiner Gemälde denken. Auch und gerade hier gilt eine alte kapitalistische Binsenwahrheit: Nur das Extreme, das Edle und Feine, dem der schnöde Makel des Geldes anhaftet, hat im unerbittlichen Kunstgewerbe Bestand. Daher gibt es eine Handvoll erlesener Zuträger, die an dieser „Verrücktheit“, wie Baselitz dieses Geschäft noch kürzlich nannte, partizipieren und sich dabei noch eine goldene Nase verdienen. Allen voran sein Kölner Galerist und Promoter Michael Werner, der für Baselitz das ist, was Henry Kahnweiler einst für Picasso war.

Lohnt sich also wirklich der Weg nach Düsseldorf, wenn man den Medienrummel um Baselitz bedenkt, der erst kürzlich von 'art‘ in einer geradezu demutsvollen Unterwerfungsgeste angeheizt wurde? Lohnt er sich, wenn man dazu noch bedenkt, daß Baselitz allerorts zu sein scheint - läuft doch zeitgleich noch eine Ausstellung im französischen Les Sables d'Olonno? Um die Antwort vorwegzunehmen: Er lohnt sich allenthalben. Trotz oder vielleicht auch wegen des Streits, der zwischen Götzenkult und Götzendemontage ausgefochten wird, lehrt die Düsseldorfer Ausstellung, daß eine Auseinandersetzung mit seinen Bildern mancherlei fruchtbare Überraschung bietet.

Harald Szeemann, der altbewährte Ausstellungsmacher aus Zürich, hat sich bewußt von der Ost-Berliner Ausstellung abgesetzt, die in seinen Augen nichts als ein kunterbuntes Potpourri aus Zeichnungen, Graphiken und eigens aus West -Berliner Sammlungen herangeschafften Gemälden verschiedenster Epochen war. Diesen Supermarkt der Beliebigkeiten wollte Szeemann in Düsseldorf vermeiden, indem er allein auf die methodische Auswahl der Gemälde Wert legte. Zu sehen ist deswegen eine „Wunschausstellung“, die anschaulich in thematischen Gruppen verteilt die verschiedenen Phasen von Baselitz‘ Schaffen vor Augen führt.

Beeindruckend ist die Unkonventionalität und die malerische Passion, mit der Baselitz schon an seine ersten Bilder aus den frühen sechziger Jahren heranging. Die Bilder der Fuß-Serie sind eine einzige Absage an das, was im common sense den gleichsamen Nenner von Schönheit ausmacht. Gerade die schäbigen Seiten des Lebens versuchte Baselitz mit diesen Bildern davor zu bewahren, zum AbFall der Kunst zu verkommen. Es waren die frühen sechziger Jahre, in denen er seine Gouachen zu den Gesängen des Maldoror malte und sein mit triebhafter Phantastik durchwuchertes Pandämonium schrieb, das als Hommage an den Wahlverwandten Antonin Artaud zu lesen ist. Inwieweit Artaud auch in seiner Malerei präsent ist, läßt sich sehr schön an seinem Gemälde B für Larry ablesen: Baselitz hat hier die Vorstellung von einem „organlosen Körper“ direkt in das Bild einfließen lassen: Die von einer Meute wilder Hunde umringte Gestalt scheint die Form ihres Organismus abzustreifen und in ein Auflösungsfeld einzutauchen, worin die Organe nunmehr Zonen und Schwellen einer proteushaften Verwandlung darstellen. Es ist eine Gestalt, die an ihrem Leibe die „erhabene Qual des Exzentrischen“ (Benjamin) spürt. Doch die zerstückelte Gestalt scheint in die sie umgebende Flora und Fauna einzutauchen, sich mystisch mit ihr zu vereinen, um derart verwandelt wieder aus der Natur aufzuerstehen.

Das Figurative war und blieb das Zentrum seines künstlerischen Drangs, weshalb der neuerdings entdeckte Hang zur „neuen Figuration“ sicherlich nicht für Baselitz gilt. Früh fand er sein eigenes Gebiet in dem, was er selbst „grobe gegenständliche Malerei“ nennt, und dies zu einer Zeit, als die westdeutsche Kunstszene förmlich von der Herrschaft des Informel und des Abstrakten Expressionismus erdrückt wurde - in Europa von Beuys und in Amerika von Pollock, die beide in der Malerei zu einer Dekomposition der Materie und zur Entdeckung des Rhythmus gelangten. Aber auch der entgegengesetzte Pol, die abstrakte Malerei, die von Kandinsky und Mondrian beherrscht wurden und in der visuellen Transformation der Formen gipfelte, ließ Baselitz unbeeindruckt.

Stattdessen ging er immer wieder vom Figurativen aus und gelangte, durch eine Vielfalt von Brechungen, die er in den Malprozeß einfließen ließ, zu ihm zurück. Bemerkenswert ist seine Äußerung „Das Schönste ist immer noch, ein Gesicht, einen Kopf zu zermanschen“. Doch es ist nicht der Prozeß der Zerstörung, der Baselitz primär interessiert und den er in seinem Bild darstellen will: In diesem Fall würde er nämlich auf die „peinture-catastrophe“ (Gilles Deleuze) des abstrakten Exopressionismus zurückfallen. Die Zerstörung ist vielmehr notwendig, um mit den Klischees aufzuräumen, die von vornherein die Leinwand besetzen. Baselitz gemahnt immer wieder daran, daß das Bild schon auf der Leinwand ist, bevor der Maler den ersten Pinselstrich macht. Der bewußte Umgang mit diesen „Gegebenheiten“ (Deleuze), an denen der Maler nicht vorbeikommt, drückt sich für Baselitz in seiner Verwendung von Photos aus, auf die er während des Malprozesses zurückkommt. Dieses Zurückgreifen auf Photos, das Vorgegebensein des Kunstwerks im Kopf des Künstlers und das darauffolgende Zerstören des gegenständlichen Motivs, das Hervorbringen von irrationalen, unfreiwilligen, zufälligen und nicht-repräsentativen Malzügen drückt die zunehmende Befreiung von den verdrängenden Klischees aus. Es ist dieses Driften der Ordnung am Rande des Chaos, dieses Auflösen der figuralen Gegebenheiten, was Deleuze das „Eindringen einer anderen Welt in die visuelle Welt der Figuren“ nannte. Doch Baselitz blieb nicht dort stehen, wo Informel und Abstrakter Expressionismus anlangten, für ihn ist diese Auflösung zugleich Keim einer neuen Ordnung und einer neuen Gestaltung. Ihn interessiert wesentlich mehr die Metamorphose des Figurativen zwischen Kopf und Leinwand: Die als Resultat des Gestaltungsprozesses entstandene Figur hat zwar nichts mit der Ausgangsfigur zu tun, sie drückt aber die ganze Spannung aus, die im Werk zwischen beiden liegt.

Aus dieser Mischtechnik ergibt sich eine erstaunliche Gemeinsamkeit zwischen zwei so unterschiedlichen Malern wie Baselitz und Bacon: Beide gehen von der menschlichen Figur aus, und beide finden über den Prozeß der Dekomposition zu ihr zurück - jedoch zu einer Figur, die nichts Abbildhaftes mehr an sich hat. Baselitz selbst hat diesen Vorgang sehr anschaulich beschrieben: „Harmonie besteht aus Spannung. (...) Der Weg dorthin ist aber, das kann nicht anders sein, nur über die Disharmonie zu erreichen. (...) Man kann das Harmonieergebnis, das jemand entwickelt hat, als Künstler nicht benutzen, sondern man kann es nur insofern benutzen, indem man es zerstört. (...) Der Effekt der Zerstörung ist kurz, willkürlich und als Effekt nicht von Dauer, von Dauer aber ist das Ergebnis, weil es eine neue Harmonie etabliert.“

Schenkt man den Worten Harald Szeemanns Glauben, scheint es bei Baselitz ein Gesetz des Wandels nach Dezennien zu geben. In der Düsseldorfer Kunsthalle läßt sich dieses Gesetz sehr gut studieren. Das erste Stichdatum ist das Jahr 1969: Zu einer Zeit, als die Welt in den westlichen Metropolen Kopf zu stehen schien, beschließt ein Maler im niederrheinischen Osthofen, die Wirklichkeit tatsächlich umzukehren und seine Bilder fortan auf dem Kopf zu malen. Es gab etliche Kunstkritiker, die ihm das Mittel der Inversion als persönliche Manie und Marotte vorwarfen. Allerdings verkannten sie in ihrer vordergründigen Argumentation, daß die Inversion ein wichtiges Gestaltungsprinzip ist, um sich von einer festgelegten Motivvorgabe und dem Zwang zur Darstellung zu lösen. Baselitz meint, damit das Referenzproblem der Malerei gelöst zu haben. Denn nicht Darstellung und Motiv sind entscheidend, sondern die Realität, die nun mit dem Bild zusammenfällt. Mit deutlichem Überschwang sagte Baselitz, im Rückblick auf seine damalige Entscheidung zur Umkehrung, daß die Malerei nun total geworden sei.

An der Ausstellung läßt sich auch gut abmessen, welche Motivänderung die Inversion nach sich gezogen hat. Baselitz fing an mit seinem bekannten Wald auf dem Kopf und mit Porträtstudien. Mitte der siebziger Jahre malte er dann höchst expressive Akte (Männlicher Akt, vor allem aber seineElke-Serien). Die vollkommene Abkehr vom Darstellungszwang ermöglichte es ihm, die Fläche der Leinwand zur rein malerischen Auseinandersetzung mit dem Motiv zu nutzen. Er versuchte damit ein Kompositionsprinzip weiterzuentwickeln, das bereits in seinen frühesten Bildern angelegt ist: Das Bild wird zum Ort einer mehrfach aufgeladenen Spannung, ja zu einem Spannungsfeld unterschiedlicher Kräfte wie Farbe und Masse, Figurativem und Abstraktem, kalkuliertem Formwillen und Formauflösung.

Die Bilder aus den späten siebziger und den frühen achtziger Jahren verraten stark den Einfluß der halluzinatorischen Gemälde Munchs, aber auch der Expressionisten (besonders die eindrucksvollen Bilder Nachtessen in Dresden, Der Brückechor), auch wenn Baselitz von thematischen Vorgaben weitgehend abstrahiert und mehr auf die Gestaltung von Kraftfeldern Wert legt. Allerdings verraten viele Bilder aus dieser Zeit einen Hang zur großmächtigen, mit einem Übermaß an Pathos aufgeladenen Geste. Das riesige Format gibt dazu sein übriges. Viele Bilder aus den späten siebziger Jahren wirken einfach ausdruckslos und schlecht gemalt. Ähnliches gilt für die Figuren aus den frühen achtziger Jahren, die allenfalls von der Wiederholung des inversen Motivs und einer grellen Farbgestaltung leben. Spätere Bilder wie Zunge, Schwarzes Pferd oderDolores heben noch deutlicher dieses Qualitätsgefälle hervor, womit sich Baselitz bestenfalls in seiner Durchschnittlichkeit präsentiert. Erst in den jüngsten Bildern der Motiv-Serie, die einen deutlichen Matisse-Einfluß verraten, bis hin zu Die Wildnis im Zimmer und Volkstanz macht sich wieder ein spielerischer Umgang mit Farbe und Formgebung bemerkbar.

Der eigentliche Blickfang der Ausstellung ist der 1989 erstellte riesige Bildzyklus 45, der aus zwanzig gleichformatigen Bildtafeln besteht. Er vermag den Besucher über etliche Schwachpukte der Ausstellung hinwegzutrösten. Formal knüpft Baselitz mit seinem Bildzyklus an das serielle Prinzip des zehn Jahre zuvor gemalten Straßenbilds an. In beiden Serien gilt der künstlerische Anspruch der komplexen Darstellung von Thema und Technik. Mit Hilfe der Variation gelingt es Baselitz, einen umgekehrten Frauenkopf durch die Komposition von Simultaneitäten, Additionen, Neben - und Übereinanderstellungen so weit zu verfremden, daß ein verwirrendes Spiel zwischen dem figurativen Motiv und seiner Wiederholung entsteht. Baselitz macht sich bewußt die Sprengkraft von Warhols Serialität zunutze, um die Wirkungsmächtigkeit des Einzelbildes aufzubrechen. War die Inversion ein erster Schritt weg vom Darstellungszwang, so ist das serielle Bildverfahren ein weiterer Schritt, um der Figur in der Malerei ihren Abbildcharakter zu nehmen. Doch des eigentlich Neuartige gegenüber dem Leinwandzyklus Straßenbild ist die durchgehende Reliefstruktur der Bildtafeln. Einfache Preßplatten dienen dabei als Bildträger und die darauf angebrachten Einkerbungen als Bildstruktur. Diese Holzkerbungen erweisen sich von Bild zu Bild als höchst unterschiedlich, insofern Baselitz nicht einheitliche Linienführungen herausschälte, sondern mit ihnen ein flächendeckendes Muster erstellte, auf die er im nächsten Arbeitsvorgang Farbgrundierung und Motiv auftrug. Mit dieser Technik hält er sich konsequent an das Verfahren, von dem er sich in seiner Bildhauerei leiten läßt. Faszinierend ist das Kräfte- und Spannungsverhältnis zwischenn dem mal geordneten, mal chaotischen Bildgrund, der entweder geometrische Schnitte oder wild eingeritzte Einkerbungen aufweist, den aufgetragenen Farbschichten, die dunkle und helle Schattierungen ergeben und den im Stil des Art brut gemalten fratzenhaften Gesichtern mit ihren zarten Farbnuancen.

Über das Verdikt Eduard Beaucamps in der 'FAZ‘, die Leipziger Maler Tübke, Heisig und Mattheuer würden im Vergleich zu Baselitz „besser vor dem Urteil der Geschichte bestehen“, kann man sich nach der Düsseldorfer Austellung nur noch wundern. Gegenüber den Leipziger Fossilien wirkt der „Dissident“ Baselitz erstaunlich frisch und unverbraucht. Das macht die Ausstellung spannend, auch wenn der Megastar „vor dem Urteil der Geschichte“ seine Adler -Federn lassen muß.

Noch bis zum 9.September 1990 in der Kunsthalle Düsseldorf, Katalog: 50 DM

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