Waldhof blickt in die Sterne

■ Schalke 04 zeigt beim 3:1 in Mannheim dem Absteiger dessen Grenzen auf

Von Günther Rohrbacher-List

Mannheim (taz) - 3.403 Tage sind es noch bis zum Jahr 2.000. In Mannheim gibt es Leute, die hohe Wetten darauf annehmen, daß die Stadt auch zur Jahrtausendwende noch ohne bundesligataugliches Stadion sein wird. Abeneuerliche Koalitionen im Sieben-Parteien-Gemeinderat haben bisher dafür gesorgt, daß schon seit mehr als zwei Jahren 14 Millionen D-Mark in Stuttgart auf Halde liegen, locker gemacht vom schwäbischen Erzfeind, Cleverle Lothar Späth, zum Ausbau des Rhein-Neckar-Stadions.

Gerade erst im Juli, vor der Sommerpause des Stadtparlaments, haben fünf Fundi-Grüne zusammen mit der FDP, zehn CDU-Leuten und der Bürgerliste mit einer Stimme Mehrheit den Sofortvollzug des Baubeginns niedergestimmt, denn die laufenden Gerichtsverfahren müßten bis zum bitteren Ende abgewartet werden. Auf der Gegenseite: SPD, drei von der CDU, ein DKP-Stadtrat und (sic!) vier „Republikaner“.

Der SV Waldhof, nach vier Bundesligajahren vom Abstieg noch geschockt, handelte: Bürgerantrag. Zwanzigtausend Unterschriften innerhalb einer Woche kamen zusammen. Das Thema wird erneut beraten. Denn der SVW wird in seinem veralteten Mini-Stadion (Kapazität: 15.200) nicht überleben können. Fast eine ganze Mannschaft verloren die Blauschwarzen im letzten Jahrzehnt an finanzstarke Konkurrenten: Paul Steiner nach Duisburg (heute Köln), Uwe Rahn nach Gladbach (heute Hertha BSC), die beiden Förster -Brüder, Fritz Walter und Maurizio Gaudino nach Stuttgart, Jürgen Kohler nach Köln (heute Bayern), Dieter Schlindwein nach Bremen (heute St. Pauli), Thomas Frank nach Dortmund.

Und schon droht gleiches mit den jungen Talenten Christian Wörns und Norbert Hofmann. „Wenn junge Spieler nach Kaiserslautern fahren, die Atmosphäre dort erleben, sind sie hingerissen und können hier kaum gehalten werden“, ahnt Geschäftsführer Klaus Sinn kommendes Unheil. Um den Wiederaufstieg redet man in Mannheim ohnehin nur herum, „oben mitspielen“ (Trainer Sebert) will man, vielleicht in die Relegation; und wenn es dann zum Aufstieg reichen sollte, nichts dagegen.

Nach dem Abstieg waren mit Güttler, Cvetkovic, Frank und Freiler vier Spieler gegangen, die durch die neuen Dieter Hecking, Lothar Dittmer, Jörg Wolff und das heimgekehrte „ewige Talent“ (Klaus Schlappner) Alfred Schön nicht ersetzt werden können. Deutlich sichtbar auch für grenzenlose Waldhof-Optimisten und Illusionäre wurde die Misere gegen den Mitfavoriten FC Schalke 04. Obwohl Hecking früh das 1:0 erzielt hatte und Schalke 04 den Ex-Waldhöfer Güttler durch eine rote Karte verlor, dominierten die Gäste im Mittelfeld und spielten sehenswerten Offensiv-Fußball. Die Mannheimer hatten außer Kampf und planlosem Anrennen nichts zu bieten, waren hoffnungslos unterlegen, ideenlos im Aufbau, bieder in der Spitze.

Anders Schalke: ein Tor schöner als das andere, ob Anderbrügges Freistoß oder Ljutys Kopfball. Egon Flads 3:1 war das endgültige und gerechte Aus für die Waldhofer, sie produzierten zu viele Fehler und ergaben sich so in ihr grausames Schicksal. Schalkes Trainer Peter Neururer war „stolz, eine solche Mannschaft trainieren zu dürfen. Und der Aufstieg“, so beschied er einen Heidelberger Lokalreporter, sei auch nur aufzuhalten, „wenn wir kein Spiel mehr gewinnen sollten“. Doch wer glaubt schon solchen Unsinn bei dieser Dominanz, die man in der ersten Liga dem FC Bayern zugeschrieben hat und die Schalke 04 in der zweiten demonstriert, längst reif, oben mithalten zu können. Schalke für Uerdingen!

Beim SV Waldhof hofft man nun am 25. September auf wechselnde Mehrheiten im Rat, damit das Stadion in der Saison 93/94 bezogen werden kann. Ob dies in der ersten oder zweiten Liga sein wird, steht in den Sternen, die man wegen der häufigen Inversionswetterlage in Mannheim selten zu Gesicht bekommt. Unweit des verrotteten, alten Rhein-Neckar -Stadions, im Planetarium, ist ein ungetrübter Blick nach oben allerdings auch für die Waldhof-Kicker jederzeit möglich.

Mannheim: Eich - Schön - Dickgießer, Wörns - Buric (65. Lutz Hofmann), Dais, Hecking, Norbert Hofmann (46. Siebrecht), Schindler - Wolff, Meyer.

Schalke 04: Lehmann - Güttler - Schacht, Prus - Müller, Anderbrügge, Schlipper, Luginger, Flad - Sendscheid (65. Zechel), Ljuty (80. Kroninger).

Zuschauer: 14.500

Tore: 1:0 Hecking (10.), 1:1 Anderbrügge (33.), 1:2 Ljuty (63.), 1:3 Flad (73.).