: Schülerprotest vor verschlossenen Türen
■ Schülerkomitee beim Bildungssenator / Stimmung an den Schulen zwischen Angst und Ignoranz
„Herr Scherf ist nicht da!“, hieß es gestern für eine Gruppe von SchülerInnen, die mit einem Transparent „Giftgas macht uns Angst“ zum Bildungssenator gezogen waren. Die etwa 30 VertreterInnen von Schulen aus dem gesamten Stadtgebiet gehören zum „Schülerkomitee“, das sich Donnerstag gegründet hat, um die Aktivitäten während des Giftgastransportes zu koordinieren. Sie wollten Scherf ihre Forderungen vortragen und möglichst mit konkreten Zusicherungen nach Hause gehen.
Um es vorweg zu nehmen: heraus kam nichts dabei, außer einem erneuten Beispiel für mangelnde Flexibilität von Behörden. Zwei
Schüler hatten just den Eingang passiert, als Verwaltungsleiter Werner Drewes, nach eigenen Aussagen zuständig für „die Sicherheit des Hauses“, auch schon nach dem Hausmeister rief. Die Übrigen konnten sich nur noch die Nasen an der Glastür plattdrücken. Besonders gefährlich wirkten offensichtlich zwei Sechstklässlerinnen, die im Windfang hängen geblieben waren und ihr Transparent „Wir haben Angst vor Giftgas“ enthüllten. In einem längeren, fruchtlosen Wortgeplänkel versuchte Drewes ihnen zu erklären, warum die Sicherheit des Hauses und der SchülerInnen selbst bedroht sei, wenn er alle ins Haus ließe („Sie
könnten sich beim Hereinstürmen verletzen“).
Eine fünfköpfige Delegation wurde als tragbares Sicherheitsrisiko angesehen, von den SchülerInnen aber abgelehnt. Schließlich wurde Schulaufsichtsleiter Lückert vorgeschoben, um für seinen Dienstherrn die Stellung zu halten. Zwischen der Tür und dem tosenden Verkehr auf dem Breitenweg wollte er „ganz ernsthaft“ mit den jungen Leuten reden, die sich so jedoch nicht ernstgenommen fühlten. Trotzdem mußten sie das endgültige Statement der Bildungsbehörde über sich ergehen lassen: Der Transport ist sicher. Maßnahmen zur Evakuierung sind überflüssig,
werden deshalb auch nicht vom Senat unterstützt. Besorgten Eltern und SchülerInnen bleibt ein Ermessensspielraum für individuelle Lösungen.
Das kannten die SchülerInnen alles schon, und genau das reicht ihnen nicht. Sie fordern in einem offenen Brief an Henning Scherf: Per Rundschreiben sollen alle Schulleiter angewiesen werden, Sonderurlaub zu gewähren - Freistellungsanträge von SchülerInnen sollen schnell und formlos bearbeitet werden in der Zeit der Giftgastransporte sollen im Unterricht keine neuen Inhalte behandelt und keine Arbeiten geschrieben werden - für „SelbstevakuiererInnen“ soll die Bildungsbehörde den Transport und die Unterbringung in staatlichen Gebäuden außerhalb der Gefahrenzone organisieren.
Lückert erklärte sich bereit, den Brief auf Scherfs Schreibtisch zu befördern. Bis Montag 15 Uhr soll das Schülerkomitee eine höchstsenatorische Antwort auf seine Forderungen erhalten, versprach er.
Stimmung an den Schulen
Die Stimmung in den Schulen ist durchwachsen. Im Lehrerzimmer des Schulzentrums an der Walli
ser Straße wird heftig darüber diskutiert, ob eine Fahrt auf der Autobahn gefährlicher sei, als der Gifttransport. „Kolleginnen und Kollegen, die Angst durchblicken lassen, geraten in Gefahr, psychiatrisiert zu werden“, berichtet ein Lehrer, der mit den Evakuierungsplänen der SchülerInnen sympathisiert. Massive Ängste werden vor allem bei jüngeren SchülerInnen deutlich, die fürchten, „bei einer Evakuierung die in Bremen zurückbleibenden Eltern zu verlieren.“
Klaus und Olaf von der Schülervertretung Walliser Straße sind vor allem sauer über die schlechte Informationspolitik des Senats und die „mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen“. Auf der Vollversammlung der Schule bestand großes Interesse an Informationen und die Vordrucke zur Freistellung vom Unterricht gingen weg wie warme Semmeln, „aber ob die auch alle mitmachen, wissen wir natürlich nicht“, meint Stephan. Berufsschülerin Corinna „würde nicht auf die Idee kommen, wegzufahren“, denn „es gibt so viele andere Gefahren in unserer Umgebung“. Für den Berufsschüler neben ihr stellt sich das Problem gar nicht: „Ich muß sowieso arbeiten!“
asp
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen