Der Stoltenberg ruft: Berliner zum Bund

■ Die Hardthöhe kennt keine Gnade: Ab 1992 müssen auch Berliner zum Barras/ Keine Ausnahmeregelung für alte Jahrgänge und Wehrflüchtlinge

Berlin. Helm ab zum Gebet: Voraussichtlich ab 1. Januar 1992 werden die ersten wehrpflichtigen Westberliner zur Bundeswehr eingezogen. Bereits mit dem Zeitpunkt der Vereinigung am 3. Oktober wird das bundesdeutsche Wehrrecht in Gesamt-Berlin voll gelten. Eine gesetzliche Ausnahmeregelung für die Berliner, wie kürzlich vom rot-grünen Senat vorgeschlagen, wird es nicht geben, denn die Bundesregierung lehnt diese ab.

Für die älteren Jahrgänge und die rund 50.000 Wehrflüchtlinge aus Westdeutschland besteht jetzt nur noch die allerdings geringe Hoffnung, daß die Hardthöhe freiwillig auf ihre Einberufung verzichtet. Wie Stoltenberg gestern erklärte, dürfe es »wegen des Gleichheitsgrundsatzes keine Sonderregelungen geben«. Das verzögerte Einrücken von Westberliner Bundis in die Kasernen erst übernächstes Jahr sei auf die »lange Vorlaufzeit« beim Aufbau einer Wehrverwaltung in der Stadt zurückzuführen.

Auch der Senat hatte sich bei der angepeilten Ausnahmeregelung auf den »Gleichheitsgrundsatz« berufen. Es könne nicht angehen, daß die Westberliner nun schlechter gestellt würden als die Westdeutschen — die hätten schließlich immer schon die Wehrpflicht in ihre »Lebensplanung einbeziehen können«. Doch für eine gesetzliche Ausnahmeregelung sind die Aussichten inzwischen gleich Null. Der von Bundessenatorin Pfarr gemachte Vorschlag, alle am 3. Oktober über 16 Jahre alten Berliner von der Wehrpflicht auszunehmen, sei von der Bundesregierung nicht in den Gesetzestext zum »Überleitungsgesetz« übernommen worden, verlautete gestern aus der Senatsverwaltung für Bundesangelegenheiten. Das »Überleitungsgesetz« soll das Bundesrecht vollständig auf Berlin übertragen, es wird am 21. September abschließend vom Bundesrat beraten. Auch für weitere Initiativen in Richtung »Ausnahmeregelung« in den Bundestagsausschüssen und im Vermittlungsausschuß des Bundesrates sieht man »wegen des Zeitdrucks bis zum 3. Oktober« völlig schwarz. Als letzten Ausweg hofft man beim Senat auf eine »verbindliche Zusage der Bundesregierung, die älteren Jahrgänge nicht einzuberufen«. Doch auf der Bonner Hardthöhe war von einer solchen »Zusage« gestern »nichts bekannt«. Ob 1992 auch tatsächlich den älteren Berliner Jahrgängen (bis 28 bzw. 32 Jahre) die Einberufung ins Haus flattert, sei noch nicht festgelegt, sagte ein Sprecher. Es gebe noch keine »Durchführungsbestimmungen« für die Heranziehung der Wehrpflichtigen. Der Sprecher verwies darauf, daß die Betroffenen ja individuelle »Zurückstellungsanträge« nach dem Wehrpflichtgesetzt stellen könnten — ein schwacher Trost. Das Wehrpflichtgesetz erlaubt die Zurückstellung in Fällen sozialer Härten und Ausbildungsangelegenheiten, allerdings nur in Ausnahmefällen über die Altersgrenze von 28 Jahren hinaus.

In linken Teilen der AL und von den Totalverweigerern war die geplante »Ausnahmeregelung« des Senats heftigst kritisiert worden. Dort wurde die völlige Abschaffung der Wehrpflicht gefordert. Gegen die Wehrpflicht hat sich kürzlich in West- Berlin auch ein Verein gegründet, der im Herbst mit einer Kampagne gegen den staatlichen Dienstzwang mobil machen will. kotte

Siehe auch Artikel auf Seite 22