: „Das Europa der Multis haben wir ja jetzt schon“
■ Der Vize-Fraktionsvorsitzende der Sozialisten im Europaparlament, Klaus Haensch, zur wirtschaftspolitischen Dominanz einer Europäischen Zentralbank
Nach der deutschen steht nun die EG- weite Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) ins Haus. EG-Kommissionspräsident Delors hat dazu einen Drei-Stufen-Plan vorgelegt, der Mitte Dezember auf einer Regierungskonferenz beschlossen werden soll, aber noch umstritten ist. Streit gibt es außerdem über den Charakter der Europäischen Zentralbank (EZB) und die einheitliche Währung. Die Golfkrise hat den Konflikt weiter eskaliert und zu neuen Koalitionen geführt. Bei dem Treffen der EG-Wirtschafts- und Finanzminister am Wochenende in Rom schien Bundesbankchef Pöhl nun gemeinsame Sache machen zu wollen mit WWU-Gegnerin Margret Thatcher.
taz: In Rom wurden die Karten für die WWU neu gemischt. Bundesbankpräsident Pöhl ist nun zusammen mit Bundesfinanzminister Waigel und dessen Kollegen aus Holland und Großbritannien gegen den Delors-Plan. Die Regierungen in Paris, Rom und Brüssel stützen ihn, während in Spanien an einem Kompromißvorschlag gebastelt wird. Wie sehen Sie die Chancen für die WWU?
Klaus Haensch: Wenn Pöhl jetzt Druck macht, um ein möglichst hohes Maß an Unabhängigkeit für die EZB herzustellen und die Erhaltung der Geldwertstabilität zu ihrer Hauptaufgabe zu machen, dann ist das sinnvoll. Wenn er glaubt, sich damit auf die Seite von Margret Thatcher schlagen zu können und die Sache als solche zu verhindern, dann wird er damit Schiffbruch erleiden. Denn die Deutschen sollten sich nicht auf eine Sonderrolle kaprizieren, sondern alles tun, um in dem europäischen Geleitzug mitzufahren. Und der wird nicht von Frau Thatcher angeführt.
Nach der Regierungskonferenz Mitte Dezember wird auch das Europaparlament (EP) über die WWU entscheiden müssen. Was sind die Hauptkritikpunkte der Sozialisten, der stärksten Fraktion im EP?
Das EP hat inzwischen in seiner ganz großen Mehrheit verstanden, daß — in Anlehnung an das deutsche Modell — Geldwertstabilität und eine weitgehende Unabhängigkeit der EZB auch für die EG ein hoher Wert sind. Dabei wird allerdings gerne eines vergessen: Daß dieses deutsche Modell nur funktionieren kann, weil der Bundesbank sehr starke politische Instanzen gegenüberstehen, gegen die sie sich durchsetzen muß. Dieses Gegengewicht fehlt auf der europäischen Ebene. Wenn man also eine EZB unabhängig und auf Geldwertstabilität festlegen will, dann muß man gleichzeitig die europäischen Institutionen (EG-Kommission und EP) stärken, weil sonst die Gefahr besteht, daß mit einer unabhängigen Zentralbank auf europäischer Ebene das Einfallstor geöffnet wird für eine rein monetaristische Wirtschaftspolitik.
Beschränkt sich Ihre Kritik auf die Forderung nach mehr demokratischer Kontrolle?
Wir glauben, daß für die Ernennung der Mitglieder des EZB-Direktoriums die Zustimmung des EP erforderlich ist. Wir sind für eine sehr lange Amtszeit unter Ausschluß der Wiederwahl der Direktoren. Wir sind der Auffassung, daß die EG- Kommission die Außenvertretung in finanzpolitischen Dingen wahrnehmen muß und die EZB sie dabei nur berät und begleitet. Außerdem muß es eine Berichtspflicht der EZB gegenüber Ministerrat, EG-Kommission und EP geben. Insgesamt sind wir für eine engere Kooperationsverpflichtung, als das in den gegenwärtigen Vorschlägen erkennbar ist.
Es gibt gerade in der Bundesrepublik viele, darunter auch zahlreiche Gewerkschafter, die befürchten, daß durch die WWU lediglich das Europa der Kapitale gestärkt wird — mit all den bekannten negativen Folgen für die Umwelt und die soziale Situation der EG-BürgerInnen. Mir scheint, daß die Sozialisten diese negative Konsequenzen durch eine Aufstockung des EG-Budgets lediglich abfedern wollen, statt eine solche Entwicklung von vornherein zu verhindern. Haben Sie nicht den Eindruck, daß Sie mit Ihren Vorschlägen die Arbeit Ihrer Kollegen im Sozialausschuß torpedieren?
Für uns ist es wichtig, daß neben der Einführung einer EZB und einer gemeinsamen Währung die Kompetenzen der EG auf dem Gebiet der Sozial- und Umweltpolitik, also all der Politikbereiche, die von solchen Fragen direkt betroffen sind, erhöht werden, damit nicht von der Währungsseite Umwelt-, Sozial- und Konjunkturpolitik gemacht wird, sondern daß für diese Bereiche die demokratisch legitimierten politischen Instanzen die politischen Leitlinien festlegen. WWU und Erweiterung der Zuständigkeiten der europäischen Institutionen bedingen sich für uns.
Sie nennen die Demokratisierung der EG-Institutionen und eine Aufstockung des EG-Haushalts als Voraussetzung. Ob sie diese Forderungen auch umsetzen können, ist völlig unklar. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?
Daß das problematisch sein wird, ist gar nicht zu bestreiten, aber wir werden es schon hinkriegen. Richtig ist, daß der Haushalt erhöht werden muß, wenn es zu einer WWU kommt, weil ja mit der Währungsunion, d.h. mit der Fixierung von Wechselkursen die Frage des Finanzausgleichs zwischen den ärmeren und reicheren Regionen der EG in ganz anderer Weise gestellt wird. Diese Länder können ja dann nicht mehr ihre eigenen Währungsdisparitäten bestimmen und ihre eigene Konjunkturpolitik machen. Das Europa der Multis haben wir ja jetzt schon. Aber bisher hat das Nebeneinanderherwurschteln der Regierungen nicht das geringste an Kontrolle gebracht für die Wirtschaftspolitik in Europa.
Wer mehr demokratische Kontrolle haben will, der kann nicht an den gegenwärtigen Zuständen festhalten, sondern muß nach Instrumenten suchen, die es ihm erlauben, wenigstens etwas Kontrolle zu bekommen. Vor die Frage gestellt, was ich jetzt tun soll, kann ich nur sagen: Es gibt keine Garantie, daß wir die Gestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Europa besser in den Griff bekommen. Aber es ist wenigstens eine Chance.
Interview: Michael Bullard
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