KOMMENTAR
: Etikettenschwindel

■ Der Berliner Entwurf zur Fristenregelung hat Fallstricke

Natürlich ist es gut, daß der Berliner Senat im Bundesrat für die Fristenregelung initiativ wird. Wann, wenn nicht jetzt? Die politischen Fronten sind in Bewegung geraten, schließlich herrscht Wahlkampf und noch haben die SPD- Länder die Mehrheit in der Länderkammer.

Aber ist das Berliner „Gesetz über das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft, Beratung in Fragen der Familienplanung und Hilfe bei Schwangerschaftskonflikten“ tatsächlich bahnbrechend? Wird es dem selbstgesteckten Anspruch gerecht? Grundsätzlich gilt: Jede Frist ist willkürlich, schränkt das elementare Recht von Frauen ein, über den Abbruch einer Schwangerschaft selbst zu entscheiden. Aber: Seit Jahren besteht zum ersten Mal die handfeste Chance, den 218 aus der Welt zu schaffen. Da müßten Feministinnen, die die ersatzlose Streichung fordern, ihrerseits politische Stümperinnen sein, wenn sie der Fristenlösung die Unterstützung verweigerten. Es muß nur eine klare Regelung sein, ohne Fallstricke. Und das ist beim Berliner Entwurf nicht der Fall. Zwar gehen Frauen grundsätzlich straffrei aus, und eine Zwangsberatung ist direkt nicht vorgesehen. Sie kommt jedoch auf Umwegen, über eine ärgerliche „Beratungsplficht“ der ÄrztInnen. Die müssen nämlich nicht nur medizinisch aufklären, sondern auch auf Beratungsstellen und staatliche Hilfsangebote verweisen. Darüber hinaus ist zwischen Beratung und Abbruch eine Bedenkfrist von drei Tagen vorgesehen. ÄrtzInnen, die diesen Vorschriften nicht nachkommen, werden mit einem Bußgeld bis zu 50.000 DM bedroht — von Freiwilligkeit kann nicht die Rede sein.

Wie oft eigentlich muß das noch erklärt werden: Strafandrohung gegen die Ärzte ist der Hebel, Frauen die Abtreibung zu erschweren. Alle wissen, welche Verunsicherung und Ängste das Memminger Urteil in Süddeutschland ausgelöst hat. Wer denunzieren will, kann das auch jetzt. Anstatt hier endlich rechtlich Sicherheit zu schaffen, wird weiter mit Sanktionen gedroht.

Unumwunden gibt der Entwurf zu, die ärztliche Beratungsplicht solle dem von der Verfassung gebotenen „Schutz des ungeborenen Lebens“ dienen. Wenn man einen Gesetzentwurf „gerichtsfest“ machen will und meint, Kompromisse schließen zu müssen sollten die aber auch benannt, und nicht als „Selbstbestimmung“ verkauft werden. So wärmt der Berliner Entwurf aller Verbalradikalität zum Trotz wieder die zum Überdruß bekannten moralischen Vorbehalte gegen Abtreibungen auf: Frauen könnten eben nicht selbst entscheiden, sondern benötigten auf Teufel komm raus Beratung und staatlich verordnete Bedenkfristen. Helga Lukoschat