4.50 Uhr: Der Giftgaszug rollte durch Bremen

■ Munitionstransport kam mit einer Stunde Verspätung / Ruhe in den beiden Bremer Lagezentren

Fast eine Nacht wie alle anderen, die erste Nacht der Giftgasgranatentransporte durch Bremen. Um vier Uhr morgens stehen auf dem Bahnhofsvorplatz unbeachtet ein Einsatzwagen und eine Grüne Minna. Die ersten Fahrgäste studieren die Fahrpläne und warten auf den Bahnsteigen. In der Bahnhofskneipe schlürfen rund zwanzig Journalisten, Fotografen und Fernsehleute an ihrem Kaffee: Der Zug, planmäßige Ankunft 3.54 Uhr, hat eine Stunde Verspätung. Eine Reiseschreibmaschine auf den Bahngleisen und defekte Bremsen hatten zu zwei unplanmäßigen Aufenthalten geführt.

Zehn Bahnpolizisten, einer davon mit Hund, drücken sich in der Bahnhofshalle und auf den Bahnsteigen herum. Von den 500 Polizisten und Bundesgrenzschutzsoldaten, die die Bremer Strecke absichern, ist nicht viel zu sehen. Keine GiftgasgegnerIn ist gekommen, um die Züge zu empfangen. Die JournalistInnen wandern zur Nordseite des Bahnhofs, wo die Aussicht besser ist. Dort, in Höhe des Güterbahnhofes, werden die Giftgaszüge den Bahnhof verlassen. Dort befindet sich auch der erste Bahnübergang, in dessen Nähe ein Einsatzwagen mit gähnender Besatzung und zwei Streifenwagen warten.

Ein Hubschrauber kündigt die Einfahrt der Züge an. Er erreicht den Bahnhof gleichzeitig mit Innensenator Sakuth. Kurze Zeit später, um 4.59 Uhr rauscht der erste Zug an blitzenden Fotoapparaten und laufenden Fernsehkameras vorbei. Die qualmende Diesellok zieht 40 tarngrüne Container, Kettenfahrzeuge und Waggons. Im Abstand von exakt sieben Minuten folgen der Begleitzug und der zweite Zug mit 40 weiteren Giftgascontainern. Die Sicherheitskräfte stehen an den offenen Fenstern der Waggons. Nach gut 20 Minuten ist das Schauspiel vorbei. Die Bahnschranken heben sich, Postautos überqueren die Gleise.

Lagezentrum Feuerwache

„Um 4Uhr50 hat der erste Zug die Bremer Landesgrenzen passiert“, verkündet der diensthabende Einsatzleiter vier Minuten vor fünf. Er hat die Nachrich×>>rade über Funk empfangen. Das war in der Nacht zum Donnerstag zweifellos der spannendste Moment in der Feuerwache 1 am Wandrahm. Das Dröhnen des Hubschraubers, der über den nahegelegenen Bahngleisen kreist, dringt durch die offenen Fenster herein. Wenige Minuten später rattert und quietscht der Zug vorbei. „Der zweite Zug ist schon in Verden. Bald ist es vorbei.“

Der Einsatzleiter hat in dieser Nacht einen ruhigen Job: Ein Rettungswagen wurde ausgeschickt. Einige Male klingelte das Telefon. Ansonsten kein Brand, nichts Spektakuläres. Keine besorgten Bürger-Anrufe wie in den vergangenen Tagen: Die BremerInnen schlafen ruhig.

Für die sieben Nächte der Munitionstransporte ist in der Feuerwache 1 ein Lagezentrum eingerichtet. Falls es trotz aller Vorsicht zu einem Unfall mit den Giftgas-Granaten käme, würden von dort aus die Rettungsdienste alarmiert und koordiniert.

„Wir wachen hier, damit Sie ruhig schlafen können“, sagt der Vertreter der Sozialbehörde im Lagezentrum unter dem Dach der Feuerwehr, während er an einem Kaffeebecher nippt. Ein Stockwerk tiefer sitzen zwei 16 Mann starke Löschgruppen der Freiwilligen Feuerwehren Seehausen und Strom. Sie sollen die Wache verstärken, den Brandschutz in der Stadt gewährleisten. „Die Stimmung ist gut, wie immer“, beteuert der Wehrführer. Von seinen Leuten glaubt keiner an einen Giftgas-Einsatz: „Damit hätten wir dann auch gar nichts zu tun.“ Sie vertrauen auf die Sicherheitsmaßnahmen.

Auf dem Hof der Feuerwache steht, anders als in normalen Nächten, ein Bus — ausgerüstet mit 12 Krankentragen für den Transport im Katastrophenfall. Die Schutzanzüge für die Feuerwehrleute liegen bereit, außerdem stehen die Rettungswagen auf Abruf, wie es in normalen Nächten ebenfalls nicht üblich ist.

„Wir haben im Ernstfall Zeit genug, um ASB und DRK zu rufen“, erklärt Bodo Steuck, stellvertretender Leiter der Bremer Berufsfeuerwehr und Leiter des Lagezentrums in der Feuerwache. Die Erstversorgung werde durch die Sanitätsbesetzung im Zug selbst geleistet: „Der Zug ist autark“, versichert Steuck. Seiner Ansicht nach ist das ganze Unternehmen so sicher vorbereitet, daß „höchstwahrscheinlich“ nichts passieren wird.

Zur Frage der Angst erklärt der stellvertretende Feuerwehrchef: „Die Gefahr lauert doch täglich - wir leben mit dem Geschäft. Was glauben Sie, welch gefährliche Fracht hier jeden Tag in Lastwagen und auf den Schienen durch Bremen rollt.“

Stabsarbeit am Wall

Der Führungsstab von Polizei, Bundeswehr und Bundesbahn, von Senatorischen Behörden, Berufsfeuerwehr und einem Vertreter des Landes Niedersachsen sitzt unterdessen in der Polizeizentrale am Wall. Dort wird der Verlauf des Munitionszuges per Funk mitverfolgt und zur Feuerwache 1 weitergegeben. Um 5.20 Uhr meldet von dort aus der Führungsstab: „Der Zug ist durch. Alles ruhig.“

bear/ra