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Körper und Geist

■ Betr.: „Stille Tage Im Klischee“, taz vom 25.8.90

Chabrol revisited! Dem Reszensenten haben zwei Dinge außerordentlich mißfallen an Chabrols Interpretation von Henry Millers „Stille Tage in Clichy“ : seine männliche Geilheit wurde nicht erregt und die literarische Vorlage wurde nicht so nachgefilmt, wie er es sich gern gewünscht hätte. Die erste Enttäuschung zieht die zweite mit sich. Schon wer Miller als ausschließlich obszönen Autor sieht, hat ihn gründlich mißverstanden. Tatsächlich hat die Erotik bei ihm neben ihrem Wert als erotische Literatur und ihrem aufrüttelnden Impetus gegen kleinbürgerliche Spießigkeit auch die Funktion, Überlegungen zum Verhältnis von Körper und Geist anzustellen — einem der ältesten Themen der Menschheitsgeschichte. Chabrol ist es gelungen, dies durch eine filmische Brechnung wunderschön auszudrücken: der fortwährenden Jagd nach dem Körper haftet der Gestus des Vergeblichen an, sie spielt sich in einem synthetischen Raum ab, der bedroht wird durch das unaufhaltsame Eindringen einer anderen, politischen Realität. Chabrol trifft die Stimmung der literarischen Vorlage damit außerordentlich gut, auch wenn er sich von deren Erzählstruktur weitgehend befreit. Auch die Dialoge in ihrem Stakkato aus Banalitäten, freien Assoziationen und Phantastereien mit philosophischen Einsprengseln zeigen Miller als einen Wegbereiter der Beat — Generation. Dem enttäuschten Rezensenten sei ein einschlägiges Magazin und ein anderes Bahnhofskino empfohlen. Lothar Knatz

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