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Der Bökelberg im Jammertal

Borussia Mönchengladbach — Eintracht Frankfurt 1:1/ Wo einst die vielbeschworenen Fohlen hüpften, herrscht heute meist der Angsthasen-Fußball/ Belanow schießt aufs Einkaufszentrum  ■ Aus Gladbach Bernd Müllender

Wenn die Borussia spielt, ist Elisabeth Steinweg immer ganz nervös. Seit Jahrzehnten, jeden Samstag. 84 Jahre ist sie alt, quicklebendig noch, und sie war, wie sie selbst sagt, „'ne Institution in Gladbach wie 'n bunter Hund“. Damals: Zu den vielbeschworenen Glanzzeiten, als die Fohlen gerade zur Welt kamen, unter dem Regenten Weisweiler, mit dem jungen Netzer und all den anderen großen Zauberkünstlern des Rasens, da führte sie die Vereinskneipe — „Steinwegs Mamm'“ geheißen wie sie selbst. In ihrem Haus wohnte manch ein Spieler auf Kost und Logis und fast alle kamen zum Bier an ihren Tresen. Sie war bei jedem Spiel, bei Pausenrückstand auch mal „bei denen inne Kabine und hab mit denen geschimpft“.

Heute, sagt sie enttäuscht, lohne der Stadionbesuch nicht mehr, „so schlescht wie die spielen, dat rescht misch zu sehr auf, da kriegisch ne Herzschlach“. Stattdessen sitzt sie am Fenster ihrer Wohnung, direkt neben dem Stadion, und macht „en Kerzken an, und bete nach dä Dreifaltischkeit da übber de Tür, Herrjott, bittebitte, Herrjott, nur ein Törken. So bekloppt bin isch.“

Die Borussia trägt schwer an ihrer Geschichte. Kaum daß das Team wieder im Tabellen-Keller steht, wird allüberall die Vergangenheit verklärt ans Tageslicht gezerrt: Die spielkulturelle Glorie mit all ihren Triumphen, später die linke Phase um die friedensbewegten Lienen, Kneib und Wohlers. Der heutige Netzer heißt Pflipsen, Vogts wurde zu Stefes, Simonsen zu Max. Statt Del'Haye, Laumen, Jensen spielen Meier, Schneider, Schulz. Da fühlt man richtig mit dem Herrjott, wie schwer er sich tut, ihnen auch nur für ein Törken die Stiefel zu führen.

Gegen das Starensemble der Frankfurter Eintracht gaben sie sich wenigstens Mühe, mehr als bei den wehrlosen Niederlagen zuletzt, wo ihnen der eigene Trainer Feigheit und Angsthasen-Fußball attestiert hatte. Selbst die Fans waren sauer und probten den Boykott: Block 16 blieb in der ersten Halbzeit leer: „Ey Stars“, lautete ihr Protest, „wir lassen uns nicht mehr verarschen mit einem Auftreten, das selbst in der Kreisklasse nicht reicht.“ Und Trommler Manolo, der sonst so unermüdliche Türke mit der Pauke, saß als einziger im verwaisten Block und flickte sein dröhnendes Instrument — sehr zur Freude von Eintracht- Trainer Jörg Berger, der Manolo im Vorjahr direkt hinter sich hatte und danach, wie er halbtaub schimpfte, einen Ohrenarzt aufsuchen mußte.

Zwei Torchancen hatten die Fohlen-Nachfahren sogar, bis der erstmals wieder eingesetzte CSFR-Internationale Straka die Kampfeslust übertrieb, mit einem krachenden Schultercheck Dieter Eckstein niederstreckte und dafür nach 40 Minuten gehen durfte.

Die zahlenmäßige Überlegenheit machte die spielerisch ohnehin hochüberlegenen Frankfurter noch selbstgefälliger, spätestens als der behäbige Andy Möller nach hübschem Paß des quirligen Lothar Sippel mit seiner einzigen gelungenen Aktion das 0:1 markierte. Haufenweise hatten die Frankfurter Chancen, die sie alle, teils mit bornierter Lässigkeit, vergaben.

Igor Belanow mußte lange zwar nicht im Knast, aber auf der Bank sitzen. Der Ladendieb (Hemden, Slips), der kürzlich einen Strafbefehl über 24.000 Mark akzeptierte, um endlich aus den schlimmen Schlagzeilen zu kommen, wurde nach 70 Minuten eingewechselt. Bald hatte er eine Schußchance, donnerte den Ball aber wuchtig Richtung Einkaufszone weit hinter der Eckfahne. Hätte nicht Martin Max im Weg gestanden, wer weiß ob nicht eine Schaufensterscheibe zu Bruch gegangen wäre — so aber rettete Nachwuchs-Simonsen '90 seinen sowjetischen Kollegen vor neuem Ungemach und traf auch noch das Tor. Plötzlich und unerwartet. Herrjott sei Dank.

Nur einer steht wie ein Fels in der Brandung: Geschäftsführer Grashoff, seit über 25 Jahren mit dem gleichen milden Gesichtsausdruck, und der, so scheints, immergleichen Pfeife. Er, dessen branchenunüblicher Sparpolitik die meisten die Schuld am Niedergang geben, bleibt gelassen bis zur Provokation: Schließlich habe „unsere Borussia eine bewegte Vereinsgeschichte mit zwei Weltkriegen und allerlei anderen Einflüsse schon hinter sich“. Da brauche man doch nicht gleich die Nerven verlieren trotz 3:9 Punkten. Die große Borussia wird absteigen, unken manche, nur Grashoff wird's nicht merken.

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