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„Die gehen doch gleich lieber nach Portugal!“

Der ehemalige VEB Gerätebau Brieselang, Rüstungszulieferer für die Volksmarine und das MfS, sucht bislang vergeblich nach einem westlichen Partner Die Lagerhallen sind voll von Rüstungsschrott/ Inzwischen arbeitet die Hälfte der Belegschaft kurz  ■ Von Nana Brink

Brieselang (taz) — „Eine der ältesten Waldpartien des Havellandes ist der Brieselang...doch er ist nicht mehr, was er war...eine schwindende Macht, an Terrain verlierend wie an Charakter...“ (Fontane, Wanderung durch die Mark Brandenburg) — Kein Firmenschild am Ende des Forstweges in Brieselang, knapp 15 Kilometer hinter Staaken gelegen, kein frisch gepinseltes GmbH, kein Westwagen vor dem Tor. Linker Hand der Wald, rechts die Felder, dazwischen ein abbröckelndes Gründerzeitanwesen, davor ein liebevoll geharktes Blumenbeet nebst himmelblauer Gartenbank — die Idylle erinnert an ein Erholungsheim. Es riecht nach Erbseneintopf. Das Brieselanger Anwesen mit dem verschlafenen Charme jedoch hatte es in sich: Hinter der Hecke wurden Meßgeräte zur Objektsicherung, Navigationseinrichtungen, elektronische Zulieferungen für die Panzersteuerung, aber auch Temperaturschalter für Waschmaschinen und Leiterplatten für Radios hergestellt.

Der einst florierende VEB Gerätebau Brieselang mit der früher sicheren Kundschaft bei der Volksmarine, dem Innenministerium wie dem Ministerium für Staatssicherheit, ist auf dem besten Weg zur Gesellschaft mit begrenzter Lebensdauer. Die Talfahrt des 1.100 Mitarbeiter zählenden Betriebes, der 1989 noch 110 Millionen (DDR-)Mark Umsatz machte, ist typisch für Zulieferbetriebe, die großteils für die „Landesverteidigung“ produzierten.

Die Maschinen stehen still, seitdem die „AG 45“ und „AG 49“ (Chiffre für die NVA und das MfS) Knall auf Fall sämtliche Aufträge für 1990 stornierten. Nicht anders handelten die zivilen Abnehmer wie das Elektrounternehmen Stern Radio, das die internationalen Billigmärkte für elektronische Bauteile entdeckt hat. In den Lagerhallen Brieselangs türmen sich nun riesige Bestände, die „Altlasten“ der Vorratswirtschaft. 400.000 Temperaturschalter für Waschmaschinen werden sich aller Vorraussicht nach nicht mehr abstoßen lassen. „Als ob alle DDR—Bürger plötzlich ihre Waschmaschinen auswechseln würden.“ Gerhard Kneller, in der Geschäftsleitung zuständig für Finanzen, findet sich nur schwer mit dem neuen Geschäftsgebaren seiner früheren Partner ab. „Da wir auf den Weltmärkten nicht konkurrenzfähig sind, üben die einen ungeheuren Preisdruck auf uns aus.“ Die (un)planmäßigen Hinterlassenschaften sind kostspielig, weil die Kommandowirtschaft den seit 1949 existierenden Betrieb zu mittlerweile nutzlosen Investitionen zwang, die jetzt nur noch rote Zahlen produzieren. 40 Millionen Mark kosteten Baumaßnahmen und Material für die Entwicklung einer Funkleiteinrichtung zur Panzerstabilisierung. Die Fertigung, Mitte 1989 begonnen, mußte im Mai dieses Jahres abgebrochen werden.

Freitag vormittag: Das Betriebsgelände ist wie ausgestorben. Um nicht noch mehr auf Halde zu produzieren, hat die Werkleitung zwei Drittel der Belegschaft in die Kurzarbeit geschickt. „Willkommen in der Marktwirtschaft“, sagt Gerhard Kneller und deutet auf die unverputzten und überwucherten Werksgebäude. Der Neubau für die Panzerzusatzproduktion steht wie ein Fremdkörper da. Der Rundgang über das 60.000 Quadratmeter große Areal offenbart das derzeitige Dilemma. Investiert wurde auf Befehl in Rüstungsgüter, ansonsten herrscht das immerwährende Provisorium. Die Verwaltung „logiert“ in baufälligen Baracken. Dieser „Wasserkopf“ — ein Viertel der Belegschaft arbeitet in diesen Unterkünften — wird wohl nicht mehr umziehen. Gleich neben den rostbefleckten Baracken steht ein weiterer Neubau: die betriebseigene Werkstatt, in der sämtliche Werkzeuge selbst hergestellt wurden. Seit einiger Zeit aber ist die Werkstatt verpachtet, der Meister hat sich selbständig gemacht. „Immerhin ein Bereich, der nichts mehr kostet“, meint Kneller lakonisch.

Um so mehr schlägt das Heizwerk ins Kontor, ein rauchender, stinkender Schlot, umrahmt von Kohlebergen, die ins angrenzende Feld abfallen. „Es ist absurd“, so Kneller, „ein paar Meter weiter läuft eine Erdgasleitung, aber wir waren gezwungen, eine eigene Heizung zu installieren.“ Ein riesiges Rohr führt über eine gewagte Konstruktion direkt zum Herzstück des einstigen VEB, dem fünfgeschossigen Plattenbauklotz für die Panzerfunkleiteinrichtung. Die neue Galvanotechnik steht jetzt nutzlos rum.

„Ihre gute Verbindung für konstruktive Lösungen“ — Gerhard Kneller zeigt eine Hochglanzbroschüre. „Wir wären überlebensfähig, allerdings nicht ohne Hilfe von außen.“ So ist es schon zu Beratungsgesprächen mit dem Berliner Institut für Regionale Konversion gekommen (siehe Interview). Was Kneller nun anbieten möchte, sind kostengünstige Kleinserien im Bereich Feinmechanik und Elektronik. Dutzendweise hat er neugierige West- Unternehmer übers Gelände geführt, ins Geschäft kam man nicht. Kneller, der sich zwecks Studiums kapitalistischer Geschäftsriten die Lektüre des 'Handelsblattes‘ angewöhnt hat, erwartet nichts: „Die gehen doch lieber gleich nach Portugal, da wissen sie, was sie erwartet.“

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