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Golfkrieg im Kinderzimmer

■ Unverhoffte Kunstbegegnungen zwischen Tag und Trug

Ich erwachte; war das wirklich mein Schädel, der mir da im Spiegel entgegengrinste? Was war passiert? Ach ja, dieser verfettete Rocker hatte mir einen Headkiss verpaßt und zusätzlich einen nagelbestiefelten Tritt in meine empfindlichsten Weichteile nachgelegt. Das sollte wohl ein schmutziges Fünf-gegen-einen-Spiel (O-Ton orangefarbenes Uhrwerk) gewesen sein, oder was?

Vielleicht hatte ihnen mein leicht überzogener Tanzstil nicht gepaßt, oder sie machen's einfach immer so, was weiß ich ... Mir dämmert jedenfalls an diesem Morgen, daß mein Null-Bock-Zustand — schließlich lag ich schon seit etlichen Tagen in einer Art Halbkoma — mit diesem Knockout zu tun haben mußte. Nachdem ich mir den Kaffee über die weiße Jeans gekippt hatte und sie auszog, um sie zu wechseln, fand ich beim Taschenauskramen dann diesen Zettel von dem Taxifahrer. Er hatte mich nach dem einseitigen Fight nach Hause gefahren. Dabei war man ins Gespräch gekommen. Eigentlich war er Künstler und so weiter. Nun gut, ich rief Ralph Klaus dann im Laufe des Nachmittags an und fand mich etwas später in seinem Etablissement ein.

Nach kurzer Begrüßung kam man zur Sache, das heißt zur Kunst. Als erstes fiel mir ein Riesenkopf mit exotischem Einschlag auf, der sich mit schwerer Hand, bewaffnet mit einem großen Kamm, die wenigen noch verbliebenen Haare auszinkte. Drapiert war das Relief mit Vignetten, in denen alltägliche Ereignisse zu sehen sind: arbeiten, essen, telefonieren, ausruhen. Ein Ausschnitt zeigt Mutter mit Kind, sich im Spiegel betrachtend. Später entdeckte ich einen Hundekopf mit einer Wurst in der Schnauze. Eigenartig verfremdet ist der Kopf mit dem Minimonsterbaby, das ihm aus dem Mund steigt. Weiter ging's dann zur Zentralheizung, einer ebenfalls großen Arbeit aus Karton, mit Stoff beklebt und mit Farbe bemalt. Da sah ich einen Kopf ohne Rumpf, mit Hut und Brille, auf starken Füßen stehend, vor einer Zentralheizung. Darüber greift ein angewinkelter Arm aus einer Tonne. Die Hand bringt einen Staubsauger in Gang. Daneben eine Festplatte mit vier mächtigen Druckknöpfen. Zu erwähnen noch: eine Karnevalsmaske, die, auf einem Stab stehend, hinter dem Heizkörper hervorlugt, dem Ganzen wohl einen ironischen Effekt gebend; der Toaster links mit herausspringendem Toastbrot; der kleine Besen in der linken oberen Ecke, letztlich die Funktion der Druckknöpfe komplettierend, die da wären: saugen, heizen, kochen, putzen. Auf die Nahrungszufuhr sollte auch das Stilleben mit Weintrauben, ebenfalls ein Werk aus Pappe, Draht und Farbe, aufmerksam machen. Aus einer mächtigen Tube quälte sich ein Würstchen. Dazu gibt's riesige quellende Weintrauben.

An Werken dieser Art fiel mir auf, daß durch die Verarbeitung bzw. durch das Aufkleben von Pappe auf den Untergrund dem Ganzen ein Hauch von Dreidimensionalität gegeben wurde und damit der Übergang von der Malerei zur Bildhauerei geschaffen war. Ebenso fiel mir der Hang zur Scheinidylle auf, so im Wasserfall: Neben einem kleinen japanischen Häuschen, dessen Garten in Zen-Mönch-Art geharkt sein könnte, donnert Hollywoodwasser (Niagara- Fälle?) in den Abgrund. Die Gischt zischt unheimlich bedrohlich, dem Häuschen oder dem Betrachter näherkommend, darnieder. Daneben die vermenschlichte Tube, ein Pappkamerad, der statt eines Kopfes die herausquellende Paste trägt, die Tube bildet den Körper, die Zahnbürste liegt in der Hand. Tube nebst Zahnpaste und Rasierzeug tauchen auf einer anderen Zeichnung noch einmal auf. Oder waren es doch nur Maschinenteile (Zahnräder?). Außerdem eine Fahne, die wie eine Tankstelle aussieht. Da brach wohl der Taxifahrer durch. Belegt auch durch die beiden Bilder Automobil 1 und 2. Außen kühle Farben, drinnen wird's heißer.

Langsam bekam ich doch genug von diesem »Überall-Scheinidyllen«. Beim Hinausgehen verlief ich mich; anstatt in den Hausflur, versehentlich ins Kinderzimmer. Das Kind war nicht da, dafür wieder einmal ein Bild, von dem ich zuerst dachte, na endlich, da ist sie ja, die reine, unverfälschte Harmonie. Doch welch ein Trugschluß! Zwar waren da zwei Touristen, der eine im Liegestuhl, der andere stehend, beide im typischen Freizeit-Bade-spaß-Outfit, unter Palmen mit coolen Drinks unter blauem Ferienhimmel zu sehen. Doch dann diese Bomberflugzeuge, die einen schon an den Golfkrieg, oder überhaupt an Krieg erinnern konnten. Ich fand schließlich doch die richtige Klinke, um zum nächsten Taxistand zu entkommen, wo mich ein verhinderter Rallyefahrer über Asphalt, Stock und Stein (schweres Gewitter) nach Hause liftete. Während der Fahrt fiel mir noch ein, daß Ralph Klaus mir seine Telefonnummer zur Veröffentlichung für Interessenten seiner Kunst freigegeben hatte — was der Rezensent hiermit tut: 030/2156560 —, da er der Meinung ist, so viele Ausstellungsräume, wie Künstler sie benötigen, gibt es doch gar nicht in dieser Stadt. Willy Krafftt

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