: Die Rache des Karl Marx
■ UEFA-Cup: Borussia Dortmund — Chemnitzer FC 2:0
Dortmund (taz) — In einer Zeit, in der im einigen Deutschland fast täglich „historische Stunden“ vermeldet werden, fehlte eigentlich nur noch ein „historisches Fußballspiel“. So mußte ein simples UEFA-Cup-Match der 1. Runde herhalten, um den Ausverkauf des DDR-Fußballs mit salbungsvollen reden begleiten zu können. Bei soviel Geschichte war sogar der Stadionsprecher „in der glücklichen Lage, unsere sächsischen Gäste in deutscher Sprache begrüßen zu können“. Vielleicht macht es sein Kollege beim Rückspiel ja umgekehrt.
Dabei lag die einzige historische Dimension dieses vermutlich letzten „deutsch-deutschen Duells“ darin, daß sich die Teams aus Chemnitz, Magdeburg oder Dresden auf lange Sicht aus dem Europacup-Geschehen verabschieden werden. Selbst die Sachsen, die im Gegensatz zu den anderen (Noch-) DDR-Clubs ihre von der Bundesliga umworbenen Stars bisher halten konnten, blieben den Beweis der Einheitstauglichkeit gegen eine nur durchschnittlich agierende Borussen-Elf schuldig.
Die Fans hatten es schon vorher geahnt. Nur 30.000 pilgerten ins Westfalenstadion, wo selbst die Anti-Fußballer von Waldhof Mannheim mehr Zuschauer anzulocken pflegten. Und hätten nicht die 2.000 mit Bus und Trabbi angereisten ehemaligen „Arbeiter und Bauern“ mit ihren „Sachsen, Sachsen“-Sprechchören gelegentlich für Stimmung gesorgt, wäre wohl Friedhofsruhe ins Stadion eingezogen.
Dabei begann die Borussia das Spiel recht flott. Über ihre starke rechte Seite trieben Lusch und Gorlukowitsch ihr Team nach vorne. Logische Folge und gleichzeitiges Ende der Borussen-Herrlichkeit: das 1:0 durch Libero Helmer nach zwanzig Minuten.
Die Chemnitzer dagegen mieden die Nähe des Dortmunder Strafraumes, als hüte Kanzler Kohl persönlich das Tor und ihre Stürmer verhielten sich, als hätte Volkskammerpräsidentin Bergmann-Pohl auch ihnen ein „Ruhegeld“ für Untätigkeit in Aussicht gestellt. Chemnitz-Trainer Hans Meyer: „Meine Mannschaft hat sich in der ersten Halbzeit in die Hosen geschissen.“
Nach der Pause wurden die Sachsen auch ohne ihren verletzten Superstar Rico Steinmann mutiger. Angelockt durch die von den BVB- Fans in der Südtribüne geschwenkten überdimensionalen Bananen, näherten sie sich nun immer häufiger dem Dortmunder Tor. Außer einem knapp verzogenen Schuß des überragenden Torsten Bittermann kam jedoch nicht viel dabei heraus.
Die Borussen machten es kaum besser. Denn auch bei den hochbezahlten kapitalistischen Stars fehlte der Biß. Neben einer hochkarätigen Chance von Michael — keiner stoppt den Ball so schön mit der Brust — Rummenigge war in der zweiten Hälfte vom Dortmunder Angriff nicht viel zu sehen. Vor allem der dänische Vier-Millionen- Einkauf Flemming Povlsen enttäuschte erneut. Jüngst vom holländischen Philips-Konzern erworben, widersetzt er sich konsequent allem, was zu einer torgefährlichen Situation führen könnte. BVB- Trainer Horst Köppel, in seiner aktiven Zeit 82facher Bundesliga- Torschütze, muß sich demnächst wohl selber einwechseln, denn außer Povlsen und Mill verfügt er im Angriff nur noch über den nachweislich langsamsten Bundesligaspieler Jürgen Wegmann.
So war es dem alten Fuchs Frank Mill vorbehalten, Spieler und Zuschauer in der 90. Minute aus dem Tiefschlaf zu wecken. Sein 2:0 nach Traumpaß von MacLeod verdarb Hans Meyer, der frustriert und in Kenntnis der Europacup- Arithmetik von einem Tor sprach, „das mehr ist als ein Tor“, alle Hoffnungen auf ein Weiterkommen.
Fazit: Dortmund mogelt sich weiter durch eine tiefe spielerische Krise. Der FC Karl-Marx-Stadt hat die Folgen der Umbenennung in Chemnitzer FC vor allem im Angriff noch nicht überwunden, wofür auch die magere Ausbeute von vier Treffern in fünf Oberligaspielen spricht, kann aber die in Dortmund erworbene „internationale“ Erfahrung in der nächsten Saison in Meppen und Darmstadt gut gebrauchen. Roger Krenz
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