NEULICH ...... in Bremwede

■ Von der Schnoor-Worpswedisierung des Viertels / Geschichten vom Hörensehen, die achte

Unser Dorf soll schöner werden: Das Viertel hat ein Atrium. Wenn du vor Kaufkraft kaum noch laufen kannst, gehst du am Birkenstock aus der Tür des Biobäckers raus, hältst dich scharf rechts, vorbei an den ausgemergelten Gestalten, die unser Dorf so unschön machen, biegst, kurz ehe du den Eingang übersehen hast, rechts ein und — halt! Hier ist es schon, da, wo du zehn fröstelnde Menschen stehen siehst, da hat sich das Viertel auf südlich schnoor-worpswedisiert. Ja, dort, wo jetzt die Wände so knallig-weiß-grün-abgesetzt gestrichen sind wie auf den geschmackvollen Postkarten aus Griechenland, die dir deine kunstgewerbssinnigen Freunde vom Urlaub schicken.

Die sind jetzt aber alle wieder da, lungern verloren zwischen weißen Keramik-Auflaufformen rum, unter der bronzenen Menschengruppe, die von hoch oben dräut, drehen sich um sich selbst, halten sich mit den Augenwinkeln an Grünpflanzen fest und versuchen, das Mittelmeer mit der Wollsocke zu erkunden — das Mittelmeer, das bei uns ja nur aus den Wolken kommt. Wenn es aber als südländisches Flair per Farbe, Pinsel und postmoderner Architektelei erblüht, dann will es nur unser Allerbestes: das Geld, das uns in Ferienstimmung touristenmäßig locker sitzen soll.

Und da steh'n sie, die Viertel-Touristen aus dem Steintor, blicken an den weiß-grünen Wänden hoch, tasten die gräco-bremensischen Säulen mit den Augen ab, gucken in die italienisch gestylten Läden 'rein — Lederjacke für tausendundeinpaarhundert Mark, Schmuck vornehm ohne Preis, Terrakotta-Kübel für Pflanzen, die hier sowieso nicht gedeihen wollen — klammern sich an die Einkaufstüte von Comet und setzen die trotzige Steintor-Miene auf, mit der sie sonst das italienische Eiscafe im Viertel germanisieren. „Hältst du bei Ferrari fünf Plätze frei? Wir kommen gleich.“

Nein, im Atrium ist deutsche Stammtisch- Gemütlichkeit plus südländische Attitüde nicht mit einem billigen Ciao zu haben - hier heißt es, Mailänder Preise zahlen, wie nebenan im Ostertor. Und ratlos setzt sich das Grüppchen in Bewegung, geht auf dem Weg zu Ferrari an jenen Ausgemergelten vorbei, die unser Dorf so unschön machen, und jäh erhellt ein freudiger Gedanke die Viertel- Mienen: schafft zwei, drei Atriums, dann wird unser Dorf ganz ohne Bürger-Ini sauber. Sybille Simon-Zülch