1.000 Abtreibungsfreuden

■ Halbzeit im 48-Stunden-Marathon »Räuber an der Macht« der Volksbühne Ost

Wahre Volksbühne — so nennt man sich inzwischen am Rosa-Luxemburg-Platz, bedrängt von der Politik und um nicht mit der falschen an der Schaperstraße verwechselt zu werden. Für den Erhalt des Theaters wurde nach der Premiere von Frank Castorfs Räuber-Inszenierung nun ein 48-Stunden-Kunstspektakel gestartet, das heute noch bis Mitternacht andauern wird. Dabei werden »Ablaßbriefe« verkauft: fürs Stillhalten innerhalb des alten Systems und andere Sünden. An den Räubern orientiert man sich in Die Räuber Anderer Mach Art, so der Titel des Kunstmarathons.

Fünfhundert freundliche Räuber aller Arten treiben überall ihr Unwesen. Ein wirrer Quasimodo beschimpft Premierengäste, die im Mercedes zu entfliehen suchen: »Ihr seid so häßlich«, stöhnt er und wird von Wärtern fortgezerrt. Klaus Rudolf, Inkarnation der »Freien Kunstpartei Vogelfrei«, einer der Organisatoren des Spektakels, kündete im Scheinwerferlicht vor dem Theater vom »Ende der großen Belehrung«, ließ den »Leichnam des gebeutelten Ideals« in seiner Eröffnungsrede ein wenig noch »zucken«, sexualisierte die Vereinigung, ließ die DDR zum Fötus (»§218 — die DDR wird abgetrieben«) oder zur Frau werden und endete im Delirium; Marlies Ludwig von der Volksbühne las de Sade, und die »Podium Manufaktur« spielte noch einmal ihr Mrozek-Stück die Nacht: am Schluß steht eine Schauspielerin ein wenig motivationslos und nacktbusig da. Im Männerklo spielt eine Band. Viele tausend Dinge mehr noch geschehen in einer äußerst angenehmen Atmosphäre.

Einer der Höhepunkte dieser 48 Stunden ist für heute abend um 17 Uhr zu erwarten, wenn »Zinnober«, eine der ältesten und besten Off-Gruppen der DDR, für Kinder und Erwachsene ihre Bremer Stadtmusikanten spielen werden. Im Westen, so eine Besucherin, habe sie noch nie so viel sympatische und schöne Menschen auf einem Haufen gesehen. Auf der Pressekonferenz hatte Frank Castorf noch erzählt, daß man andere Zuschauer, gerade die vom Prenzelberg hinzuziehen wolle. Detlef Kuhlbrodt