Rückpaß in die Vergangenheit

■ FC Berlin verliert im DDR-Fußballpokal 1:2 gegen FC Union/ Fan-Randale im Stadion

Berlin (taz) — "Ein Ortsderby mit veränderten Vorzeichen" beschwor die Stadionzeitung des DDR-Zweitligisten 1. FC Union. Denn der ewige Rivale, der zehnmalige Landesmeister FC Berlin, Gegner in der zweiten Runde des DDR-Fußballpokals, hatte seine Unbesiegbarkeit verloren. Leistungsträger wie Doll, Thom, Rohde oder Ernst folgten dem Ruf des Geldes und verließen den vormaligen Stasi-Verein BFC Dynamo in Richtung Bundesliga. So träumte man bei den Unionern vom ersten Sieg seit 1977.

Die wesentlichen Änderungen gegenüber früher schlugen bei Gastgeber Union zunächst negativ zu Buche. Nur 3.500 Zuschauer fanden den Weg in die "Alte Försterei", dem Schmuckkästchen in der Wuhlheide. Vor zehn Jahren verfolgten noch über 30.000 Menschen das Spiel der Spiele an der Spree. Dynamo gegen Union, das bedeutete Staatsmacht gegen heimliche Opposition.

Am Sonntag jedoch wurde deutlich, daß die drohende Vereinigung auch diese gesellschaftliche Nische überflüssig gemacht hat. Die Sitze vieler westlicher Pressevertreter, die damals nur zu gerne über Haßtiraden gegen die Stasi berichteten, blieben verwaist.

Das Pokalspiel begann mit dem branchenüblichen Abtasten und wüsten Schmährufen für den armen FC- Trainer Jürgen Bogs. "Absteiger, Absteiger", hallte es dem einstigen Erfolgstrainer entgegen, der sich vom Manager zum Coach degradieren ließ, nachdem der FC mit 1:9 Punkten ans Tabellenende der Oberliga gerutscht war. Mit stolzgeschwellter Brust attackierte indessen der Zweitliga-Dritte Union das Gehäuse des Gastes aus Hohenschönhausen, der sich mit Hilfe eines zivilen Etats von acht Millionen Mark steuertechnisch von seiner Stasi-Vergangenheit verabschiedet hat.

Nach zehn Minuten allerdings wurde der FC von seiner unrühmlichen Vergangenheit eingeholt. Urplötzlich stürmte eine Horde "Dynamo, Dynamo" brüllender Fans in den Union-Block. Mit Knüppeln und Leuchtraketen attackierten Mielkes durchgeknallte Enkel die rot-weißen Unionsfarben. Das harmlose Geschehen auf dem grünen Rasen wurde kaum noch wahrgenommen. Ängstlich und onmächtig vor Wut verfolgten die Zuschauer auf der Tribüne, wie die FC-Anhgänger die Einheimischen über die Stadionränge trieben. Wo blieb die Poizei, die bereits Stunden vor Anpfiff martialisch vor der "Alten Försterei" in Stellung gegangen war? "Die sitzen draußen und schaukeln ihre Eier", lautete eine der harmloseren Vermutungen.

In der 21. Minute wurde das Publikum wieder an das sportliche Geschehen erinnert. Union-Mittelfeldmotor Lutz Hendel dribbelte sich auf der linken Seite durch und flankte in die Mitte, wo Andreas Grether zum frenetisch bejubelten 1:0 einköpfte. Wild rüttelten die FC-Anhänger am Sicherheitszaun. Der Sportplatz glich einem Pulverfaß, daß jeden Moment in die Luft fliegen konnte. Mit erhobenem Nazi-Arm ließen die "Dynamos" ihren "Führer" Erich Mielke hochleben. "Unser FC — die größte Scheiße von de' Spree!", konterten die Unioner auf der Gegenseite.

Nach der Halbzeit brachte die FC- Elf ihre Fans zusätzlich in Rage. Pausenlos bestürmte die von Heiko Bonan angetriebene Mannschaft das Union-Tor. In der 71. Minute wurde Neuzugang Pronyschew (Lok Moskau) von Torwart Kostmann im Union-Strafraum gelegt. Den fälligen Strafstoß verwandelte Pavel Chaloupka zum 1:1 nach 90. Minuten.

Die anschließende Verlängerung ging endlich unter Polizeischutz über die Bühne. Mit bleiernen Beinen versuchte der Zweitligist, sich ins Elfmeterschießen zu retten, da patzte in der 117. Minute die FC-Abwehr bei einem Konter über die rechte Seite. Einwechselspieler Saier war zur Stelle und bugsierte den Ball zum 2:1-Siegtreffer für Union über die Linie.

Doch der Jubel unter den Rot- Weißen verhallte im Gebell der entsetzten Hooligans aus Hohenschönhausen, und mischte sich alsbald mit Sirenenorgien der Volkspolizei. Jürgen Schulz