: Kuchenbomber, Protonenakt
■ Katharina Karrenberg in der Galerie Wewerka
Katharina Karrenberg verwendet Bilder aus der Kunstgeschichte (Malewitschs Schwarzes Quadrat, Stucks Salome, Pollocks No. 32), der Naturwissenschaft und Technik (das Dreieck von Pythagoras, Leonardos schematisierter Menschenentwurf, den F-16-Bomber) und Bilder aus dem Alltagsleben (eine Kuchenform, das Muster, das sich aus den Gängen zwischen Herd, Kühlschrank, Spüle ergibt). Sie verwendet Bilder, die wir alle kennen, aber so, wie sie Karrenberg bearbeitet und inszeniert, nie gesehen haben. Karrenberg zitiert nicht. Sie verfährt nicht wie die Künstler der Pop-art, indem sie Objekte und Bilder aus dem Alltagsleben für die Galerien und die Kunstwelt aufbliese. Ihre Blow-ups sind immer mehrteilig und bilden eine jeweils eigene Konstellation. So, wenn sie die Drippings des amerikanischen Action-Painters Jackson Pollock mit dem Hin und Her in der Küche und den Bahnen subatomarer Teilchen in einer Blasenkammer (von einem Versuch aus der Quantenmechanik) in Beziehung setzt und als musterhafte Bilder erkennbar macht. Kunst, Alltag, Naturwissenschaft bilden eine Konstellation. Das in Trance und instinktsicher entstandene Bild Pollacks kontrastiert das vom Kochen diktierte Hin und Her in der Küche mit den ruhelosen und von Physikern beschriebenen »tänzerischen Bewegungen« und Verwandlungen der Elementarteilchen.
Karrenbergs Strategien sind avanciert. Sie arbeitet mit ironischen Verdoppelungen, gibt die Schnittstellen zwischen einzelnen Medien zu erkennen, deckt immer ihre Quellen auf und versetzt und verstellt, was als Identität gedacht, bringt getrennt zusammen, was ausdifferenziert worden ist. In jedem Falle besteht sie auf der Differenz von Blick und Bild, macht sie in ihrer je eigenen Konstitution sichtbar. Das setzt — wie bei aller modernen Kunst — ein hohes Maß an Selbstreflexion und ein ironisches Verhältnis zur Welt und ihren Regeln voraus. Das ist nicht für nichts und schon gar nicht nur Kunst. Denn in den Arbeiten von Katharina Karrenberg findet sich eine Subjektivität in anderer Gestalt. Sie bezieht die Regeln, denen das Subjekt unterworfen ist, in ihre Arbeit ein (zum Beispiel in der Blick-/Bildkonstitution, in ihrem Bildmaterial, in den Konstellationen), ohne sie — wie Werbestrategen — auszubeuten, sondern um sie erkennbar zu machen. Damit sind sie nicht wirkungslos geworden — aber besser in Schach zu halten.
Angelika Stepken spricht in ihrem Katalogessay von Karrenbergs »Angriff auf tradierte Bedeutungen« und deutet ihre Arbeiten im Sinne einer Revision des kulturellen Bestands auf der Zeichenebene. Diese Perspektive ist möglich, beschränkt sich aber auf den Blick, der rückwärtsgewandt sich am ehrwürdigen Modell der Kritik, der Subjekt-Objekt-Problematik orientiert. Das prägnanteste Bild, das Karrenberg für ihr Verfahren — gewissermaßen als Lesezeichen — gefunden hat, scheint mir Ja-Nein. Handschriftlich stehen »Ja« und »Nein« untereinander und verkehrt herum. Aber verkehrt herum ist nicht falsch, sondern der Blick des Spiegels richtig herum. Es geht also um einen verkehrten richtigen Blick, der die Konventionen kategorial durchbricht, indem er in einer Doppelperspektive die Gesetzes des Vernünftigen in Reserve hält und die Ambivalenz in aller Reinheit absolut setzt. Diesem Bild entspricht Karrenbergs Satz: »Ich bin viele.« Es ist kein Gegen-Bild. Es ist die Darstellung »kalkulierter Reserve« (Eva Meyer) und schärft das Empfindungs- und Vorstellungsvermögen wieder dafür, daß es Kraftfelder und Voraussetzungen gibt, die nicht — oder noch nicht — dargestellt werden können.
Künstlerinnen dekonstruieren die Konventionen des Blicks auf die Welt, die Körper, die Zeichen. Dabei stellen sie weniger Gegen-Bilder her; die würden die Macht der Konvention nur bestätigen und könnten als Antikunst in den zentralen Räumen als Dekoration vereinnahmt werden, blieben Anhängsel der institutionalisierten Regelsysteme. Sie bearbeiten vielmehr das vorhandene Bildmaterial, schöpfen aus dem riesigen Fundus der Alltags-, Bildungs-, Kunstgeschichte. Bilder, Formeln, Schemata, Muster verwenden sie aber nicht, um sie zu kritisieren; damit wären sie ja wieder im kulturellen Spiel mit alten Regeln. Sie arbeiten mit diesen Repräsentationen und Symbolen — der Realität zweiten Grades —, weil sie selbst als Repräsentation immer schon gesehen und behandelt wurden, von Männern und Frauen, die ihnen die Differenz im alltäglichen Umgang seit je im Blick und Verhalten zu erkennen gaben, und zwar nicht als individuell qualitative, sondern als Geschlechtsdifferenz. Die Realität zweiten Grades ist ihre erste, von vornherein, einfach durch ihre Geburt und Sozialisation, geboren für die Repräsentationsebene.
Dabei geht es ihnen nicht darum, Inhalte zu zerpflücken, herauszufinden, was bestimmte »Darstellungen über Frauen aussagen«, sondern zu erkennen und erkennen zu geben, was bestimmte »Repräsentationen Frauen zufügen« (Craig Owens). Es geht um die unendliche Geschichte unmerklicher Manipulationen. Sie ist in der Sprache, in den Gesten, unter der Haut. Peter Herbstreuth
Katharina Karrenberg. Bis 6. Oktober bei Wewerka & Weiss, Pariser Straße 63, Berlin 15. Di. bis Fr. von 10 bis 13 und 15 bis 18 Uhr 30, Sa. von 11 bis 14 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen