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Von „Abenteuer“ bis „Zweifel“

■ Neue Philosophische Enzyklopädie / Prof. Sandkühler stellte sein dickleibiges Kind vor

Die Frage: soll man selbst philosophiren? muß, dünkt mich, so beantwortet werden, als eine ähnliche: soll man sich selbst rasieren? Der solcherart aufgekärt räsonieren konnte, der Physiker Georg Christoph Lichtenberg, hatte den Vorzug, in einer Zeit zu leben, da große Hirne die Welt und ihr Wissen noch einigermaßen übersehen konnten. Wir 2.000er haben es dagegen schwer: Das Wissen der Menschheit liegt zersplittert in Fachgebieten umher, hermetisch versiegelt in exklusiven Terminologien.

„Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften“ heißt ein gigantisches Projekt, das jetzt zum Abschluß gekommen ist mit einem dickleibigen, vierbändigen Buch gleichen Titels. Es enthält nach den Worten des Herausgebers, Prof. Hans Jörg Sandkühler von der Uni Bremen, „das Wissen unserer Zeit, durch die Brille der Philosophie“ gesehen. Am Dienstag wurde die Enzyklopädie in Anwesenheit des Rektors der Uni, Jürgen Timm, der Öffentlichkeit vorgestellt.

„Oberschulbildung“ setzt Sandkühler, Leiter des Zentrums für Philosophische Grundlagen der Wissenschaften an der Uni Bremen, voraus. Jedoch kein Philosophiestudium. In etwa 8.000 Spalten sind gut 600 Aufsätze versammelt: von A wie Abenteuer bis Z wie Zweifel. Klassische Gegenstände der Philosophie wie Sophistik, Erkenntnis, Empirismus stehen neben aktuellen Begriffen wie Dritte Welt, New Age, Hausarbeit, weibliche oder Tanz. Das Opus, vor sieben Jahren begonnen und prinzipiell in Gefahr, veraltet zu sein, enthält neben etlichen Spalten zu Marxismus immerhin bereits den Aufsatz Für eine kritische Bilanz des Marxismus.

1983 begann Sandkühler mit einem Stab von MitarbeiterInnen zunächst, das Phänomen „Enzyklopädie“ selbst zu erforschen. Versuche, das Wissen der jeweiligen Zeit übersichtlich zusammenzustellen, gab es schon in der Antike, doch die große Zeit der Enzyklopäden war die Aufklärung. Diderot und D'Alembert setzten mit einer 28-bändigen Ausgabe Maßstäbe. Seit dem 19.Jahrhundert kennt man eher die populärwissenschaftliche Form des „Konservationslexikons“.

Der schwere nächste Schritt war die Auswahl der Stichwörter, wobei auch politische Gewichtungen eine Rolle spielen. Sandkühler verfolgte, so seine vage Formulierung, ein „progressives Ziel“, nahm auch Fragen der Umwelt, der „Dritten Welt“ und Frauenthemen auf. Eine Arbeit von zwei Jahren. Danach hieß es, 360 AutorInnen aus Italien, Portugal, der CSFR, den USA ... , SpezialistInnen mit weitem Blick, zu motivieren, anzutreiben, Ausfälle neu zu besetzen usf. Hier zeigt sich auch eine immanente Schwachstelle des Projekts; wegen plötzlicher Absagen konnten wichtige Lemmata nicht bearbeitet werden wie Antisemitismus, Idee, Postmoderne, Pazifismus.

Nach dem Niedergang des Pahl-Rugenstein Verlages, der die Enzyklopädie drucken wollte, war man froh, daß der feine Hamburger Meiner-Verlag einstieg; ein repräsentatives Werk — Fadenbindung, säurefreies, alterungsbeständiges Papier — liegt vor zum Subskriptionspreis von 358 DM. Burkhard Straßmann

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