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Individuelle Aufarbeitung

■ „Jo“, Di. 25.9., 22.55 Uhr, ZDF

Ein Unfall, der Tod eines Freundes oder Verwandten lähmt die Betroffenen. Schwebt einer gar zwischen Leben und Tod, dann wird für alle Beteiligten die Normalität außer Kraft gesetzt. Legitim ist es da, zu Papier und Stift zu greifen, und die Ängste, die Not in der Ungewißheit oder die Trauer zu verarbeiten. Diese Arbeit der Trauer ist ein zutiefst privater Akt, tritt das Erarbeitete aber aus dieser Sphäre heraus, wird es zum öffentlichen Bekenntnis, zum Anliegen, das sich dem besonderen Maßstab der Nachvollziebarkeit ausliefert. Was aber war das Anliegen von Harald Bergmann, dessen Bruder im Sommer 1986 bei einem Unfall schwer verletzt wurde, der ein Zeit auf der Intensivstation lag, dann aber wieder auf die Beine kam?

Bergmann hat seine Kamera mit ins Krankenhaus genommen, voll drauf gehalten, während der Bruder am Beatmungsgerät hängt. Mit dem Apparat in der Hand, ist er unsicheren Schrittes den nachtdunklen Flur entlang gegangen und hat den Fahrstuhl festgehalten, das Personal, dessen Alltag durch die Übertragung eines WM-Fußballspieles geprägt wird. Vor allem aber zeigt er immer wieder fahrende Züge, Autos — der Weg aus dem heimischen Celle in die nächste Stadt zum Krankenhaus.

Herausgekommen ist kein Dokument, das den Moloch Krankenhaus anprangert, keine Darstellung des Leids der Familie, die um das Leben des 17jährigen bangt und die ob ihrer Tragik betroffen macht, keine Anklage gegen den jugendlichen Übermut, der den beinahe tödlichen Unfall verursachte. Herausgekommen ist ein seltsames Amalgam, aus authentischen Szenen, experimentellen Ansätzen, archaischen Deutungsversuchen und einer Szene, die den jugendlichen Übermut während der Fahrt ins Unglück rekonstruiert. Wenn Bergmann aber die brutalen Bilder seines im Koma liegenden Bruders mit denen einer Gruppe anarchistisch schreiender Jugendlicher kontrastiert, dann hege ich den Verdacht, daß er damit seine Erinnerungsbilder destruieren, oder sagen wir zumindest relativieren will. Ja keine Trauer aufkommen lassen.

Da die Aufarbeitung existenzieller Not sich aber jeglichen Maßstabes entzieht, muß der Film genommen werden, als das, was er ist: Der individuelle Versuch Harald Bergmanns, die Zeit der Ungewißheit filmisch zu verarbeiten. Ob das gelungen ist, ist dann, siehe oben, eine ganz andere Frage. Karl-Heinz Stamm

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