piwik no script img

Der „Präsident“ zurück in AlgerienBen Bella ruft zum Kampf

■ Das Leben des 71jährigen Ahmed Ben Bella ist untrennbar verbunden mit der algerischen Unabhängigkeit. Aus dem französischen Exil kehrte der frühere radikale Sozialist zurück. Aber sein flammender Aufruf, sich freiwillig für Hussein zur Waffe zu melden, kam nicht an bei Algiers Jugend.

Es war eine Kreuzfahrt, die als Kreuzzug enden sollte. Als der 71jährige Ahmed Ben Bella am Mittwoch an Bord der Mittelmeerfähre „Hoggar“ stieg, im Hafen von Barcelona, da mochte er an die triumphale Rückkehr von anderen Exilanten gedacht haben: an Chomeinis Heimflug nach Teheran, an Nelson Mandelas Rückkehr aus dem Gefängnis. Oder vielleicht an Benigno Aquino, der von seinen Schergen erschossen wurde, kaum daß er den ersten Schritt auf der heimatlichen Rollbahn gemacht hatte.

Nach zehn Jahren Exil kehrt Ben Bella zurück, der Führer der algerischen Befreiungsbewegung, der ehemalige Präsident der algerischen Republik. „Ich komme nicht zurück, um alte Rechnungen zu begleichen“, meinte Ben Bella auf der Überfahrt, als er im großen Salon der „Hoggar“ mit einigen alten Genossen zusammentraf. Otelo de Carvalho war da, der Genfer antikolonialistische Professor Jean Ziegler, eine Handvoll Trotzkisten und einige hundert Mitglieder des „Mouvement démocratique algérien“ (MDA), einige Grüne, fortschrittliche Islamisten. Als „Floß der Medusa“ hatte Beb Bella sein Schiff bezeichnet. Ein Floß der Überlebenden, die von der Gegenwart schon abgeschrieben sind? „Ich kehre zurück, um meinem Land beim Wiederaufbau zu helfen. Ich war 15 Jahre im Gefängnis, aber ich bin reinen Herzens.“ Reinen Herzens, aber nicht desto weniger Politiker: „Wer Kinder gefoltert und getötet hat, muß eliminiert werden.“ Anspielung auf die Niederschlagung der Unruhen vom Oktober 1988.

Während Ben Bella und seine Gefährten langsam Richtung Algier tuckern, wird die algerische Hauptstadt auf die Ankunft vorbereitet. Die MDA hat die Häuserwände mit Ben Bellas Porträt tapeziert, ein „großer Tag“ solle es werden, hat sie versprochen. Selbst die Zeitungen trauen sich jetzt, von der legendären persona non grata zu schreiben. Legendär? Den Jugendlichen, die das Straßenbild Algiers prägen, die mit ihrer Revolte die Macht der FLN ins Wanken gebracht haben, ist der Name Ben Bellas unbekannt oder fremd. Dreiviertel der 30 Millionen Algerier war noch nicht geboren, als Ben Bella Geschichte machte.

Algier, endlich. Die Häuserreihen, die jenseits der Mole emporsteigen, sind weiß wie eh und je. Der Himmel könnte blauer sein. Einige Tränen, als er das Märtyrerdenkmal sieht, ein wenig Pathos, um sie zu verstecken: „Auf die Helden der portugiesischen Revolution, auf die Söhne des Wüstenlöwen...!“ Die Gefährten jubeln, das wollen sie hören. Aber wieviele Menschen werden gleich an der Reede am Fuße der Kasbah stehen, jenem Altstadtviertel, wo die Islamisten der FIS bei den Kommunalwahlen wahre Triumphe feierten? „Mindestens eine halbe Million“, hatte die MDA prophezeit. Das würde einem Anspruch auf die Präsidentschaft gleichkommen. Doch je näher die „Hoggar“ der Kasbah rückt, desto länger werden die Gesichter. Da wartet keine halbe Million, auch keine hunderttausend. Vielleicht sind es zwanzigtausend, vielleicht auch dreißigtausend — aber wieviele sind nur aus Neugier gekommen? Ein Nebelhorn tutet, hinter dem Polizeikordon erste Sprechchöre: „Yah ya Ben Bella“ — „Es lebe Ben Bella“. Porträts werden geschwenkt. Auch jenes von Saddam Hussein.

Djamila Bouhired, die bekannteste der Freiheitskämpferinnen gegen Frankreich, begrüßt den Exilanten, führt ihn zu einer schnell zusammengezimmerten Tribüne. Die Begeisterung des Publikums hält sich in Grenzen. Ein historischer Tag? Eher ein historischer Alltag. Was nun sagen? Ben Bella setzt auf starke Worte, die in merkwürdigem Gegensatz zu der Müdigkeit stehen, die er nicht verbergen kann. Er fordert den sofortigen Rücktritt der Regierung von Maloud Hamrouche, die erst vor einem Jahr eingesetzt worden ist und ein liberales Wirtschaftsprogramm beschlossen hat: „Algerien darf nicht in eine Filiale von Pondichéry verwandelt werden, zugunsten von Ausländern, die den Algerier Bauch und Maul stopfen wollen“, ruft er. Die FLN sei von einer Revolutionspartei zu einer Korruptionspartei heruntergewirtschaftet worden. Er, Ben Bella, werde Algerien wieder sammeln, er sei es, der einen Konsens aufbauen könne, um die Einheit der Nation nicht durch den Parteienstreit zu gefährden. Und: noch immer werde eine Revolution „sich gut machen in diesem Land“.

Das zu lang be- und abgenutzte Wort „Revolution“ ist nicht mehr dazu angetan, Enthusiasmus in Algier hervorzukitzeln. Ben Bella, der 74jährige, versucht es mit einem neuen Diskurs, hofft so, bei den Kasbah-Kids Gehör zu finden. Er beglückwünscht die Islamische Front FIS zu ihrem Wahlsieg am 12.Juni und ruft noch einmal zum Befreiungskrieg: „Im Irak steht unser Volk einem Kreuzzug gegenüber und befindet sich in Gefahr. Es gibt eine Verschwörung gegen das islamische Volk. Immer wenn ein islamischer Führer auftritt, muß ihn der Westen schlagen. Gestern waren es Nasser und Chomeini, heute ist es Saddam. Wenn er stürzt, dann sind als nächste Muammar Gaddafi in Libyen und Ben Bella in Algerien dran...“ Die Zeit der Solidaritätsbotschaften sei jetzt vorüber: „Wir brauchen Freiwillige für den Irak. Macht euch auf, zu Hunderttausenden. Mobilisiert euch gegen die zionistischen Kampagne gegen Irak. Der Kampf von Nasser findet heute im Irak statt, es ist der Kampf gegen den Dünkel!“ Merkwürdig, auch diese Botschaft scheint nicht anzukommen. Nur die Aktivisten des MDA und die paar hundert Passagiere von Bellas Floß skandieren ihr „Yah, ya Ben Bella“. Die Menge wartet ab. Die Slogans werden nicht übernommen.

Nach seiner zwanzigminütigen Rede fährt „der Präsident“, wie ihn seine Anhänger noch immer nennen, zum Gebet in die Große Moschee von Algier. In den nächsten Tagen wird er zu einer Rundfahrt ins Landesinnere aufbrechen, um seine Revolution zu predigen. Die kleine Menschenmenge am Hafen zerstreut sich langsam, geht arbeiten, soweit sie Arbeit hat, geht einkaufen, sofern es etwas einzukaufen gibt. Die Straßen der Kasbah dröhnen vom Hupen der Autos, die Brautpaare durch die Gassen transportieren. Alltag — kein Feiertag, keine Revolution. Zum Kreuzzug ist auch morgen noch Zeit. Alexander Smoltczyk

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen