Samba für die „Straßenkinder“

■ Brasilianischer Sonntag in St. Jakobi: Gott haßt Ungerechtigkeit und will Befreiung

Dias, Kindertheathergruppe und Heimorgel, Kirchenlieder im Samba-Takt, das gibt es nicht alle Tage in der St. Jakobi Kirche. Entsprechend irritiert blickten die älteren Gemeindemitglieder. Zum Erntedankfest hatte sich Friederike Platzdasch, Organistin und Leiterin verschiedener Kindergruppen der Gemeinde, etwas besonderes ausgedacht. „Abandonados“, die alleingelassenen Straßenkinder Brasiliens und unsere Überflußgesellschaft, waren Thema des Sonntagsgottesdienstes.

Die Kindertheatergruppe versuchte den Zusammenhang an einem Beispiel zu packen: Eine brasilianische Familie im Nord-Osten des Landes lebt von ihrem kleinen Stück Land, das sie selbst bearbeitet. Sie ist nicht reich, hat aber ihr Auskommen. Eines Tages beschließt die Regierung, das auf dem Gelände befindliche Bauxit, ein wichtiger Rohstoff für die Aluminiumherstellung, abzubauen. Die Familie wird vertrieben und auf Lastwagen in die nächstgrößte Stadt verfrachtet. Dort lebt sie fortan, zwischen Blechhütten und Müllbergen, im Elendsviertel. Der Vater findet keine Arbeit und wird aus Verzweiflung Alkoholiker. Die Kinder, alleingelassen, schließen sich zusammen und versuchen durch Stehlen und Betrügen irgendwie durchzukommen. Als sie eines Tages beim Durchwühlen von Müllbergen auf Getränkedosen stoßen, meint ein blondes Mädchen verbittert: „Und dafür mußten wir unser Land verlassen, damit die Reichen mehr wegschmeißen können.“

15 Millionen solcher Kinder leben in Brasilien, Kinder deren Zuhause die Straße ist. Viele von ihnen sind ganz auf sich gestellt, denn ohne Ackerbau und Arbeit können ihre Eltern sie nicht länger ernähren. Aber das ist nicht die einzige Folge der Vertreibung. Zusammen mit der Lebensgrundlage von Millionen Bauern verschwindet auch der Regenwald, der gleich mitabgeholz wird. Zurück bleibt giftiger Schlamm und Ödland.

Aufgrund der fast hoffnungslosen Situation dieser Menschen, berichtet Platzdasch, habe inzwischen sogar in der katholischen Kirche ein Umdenken stattgefunden. Früher eher abgehoben von der Armut der Meisten, sei sie inzwischen aktiv in zahlreichen Basisgemeinden. „Gott haßt Ungerechtigkeit und will, daß ihr euch daraus befreit“, ist das Motto der Theologie der Befreiung.

Um solche Basisarbeit zu unterstützen und den „Abandonados“ zu helfen wird das gesamte Geld, daß die Gemeinde am Erntedanktag gespendet und bei verschiedenen Veranstaltungen eingenommen hat nach Brasilien geschickt. 50 Prozent gehen an die Kinder-Not-Hilfe, die andere Hälfte an eine Landwirtschaftsschule in Brasilien, in der elternlose Kinder ausgebildet werden. Birgit Ziegenhagen