piwik no script img

Quasi empirisch

Nicolas Humberts und Werner Penzels „Step Across The Border“: Ein reich assoziierter Film über die Weltmusik des Fred Frith  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Es gibt zwei Möglichkeiten, Musiker auf Tournee zu filmen: auf der Bühne oder backstage. Johlende Massen hier, intime Szenen dort. Der Verschnitt kommt, wenn die Musiker populär sind, immer gut an.

Mit Step Across The Border haben zwei Filmemacher — Nicolas Humbert, Jahrgang 1958, und Werner Penzel, Jahrgang 1950 — eine neue Form gefunden. Sie folgen ihrem Musiker, Fred Frith, auf einer Welttournee nach London, Leipzig, Verona, Tokio. Sie zeigen weniger den Reisenden, sondern meistens das, was man auf einer Reise sieht — Städte, Niemandsland, Züge. Das Team kehrt mit Frith nach New York zurück, wo er wohnt.

Aber schon das verrät der Film nicht, nicht explizit. Auch nicht, daß Fred Frith gebürtiger Engländer und mit seinen vierzig Jahren ein hochgeschätzter Saitenvirtuose aus dem Kreis um John Zorn ist — Leute, die man mangels Alternative als „Avantgarde“ bezeichnet. Humbert und Penzel konzentrieren sich ganz auf seine Musik, eine Musik, die schon auf Schallplatte eine gewisse Magie hat, aber im Film nun trotz ihrer Komplexität gänzlich plausibel wird.

Ein vom Wind gezaustes Maisfeld im Frühjahr; eine Zeitung, die über einen offenen Platz einer verödeten Stadt geweht wird; eine Katze, die aus dem Fenster starrend nur den Schwanz bewegt; die Fahrt durch eine sommerliche, von Bäumen gesäumte Allee („Fontane!“). Die Motive des schwarzweißen Films verbinden sich mit der Musik, einer elektrischen und akustischen Kammermusik, die mal melancholisch schleift, dann neurotisch geladen vorantreibt. Immer wieder versetzt uns der Schnitt in den Konzertsaal, aber erst, wenn die Stücke enden. Stilsicher greift der Kameramann auf bewährte Reisebilder zurück, die oft in extremen Teleperspektiven verdichtet werden. Die Bilder interpretieren die Musik von Fred Frith nicht; sie symbolisieren, daß es eine Musik ist, die in lebhafter Beziehung zur Welt steht, quasi empirisch ist.

Auch wenn Frith es nicht ausspricht, beginnt man mühelos zu verstehen, daß er ähnlich wie John Cage potentiell jedes Geräusch als Musik betrachtet. Womit auch die Instrumente aus der Konvention ihrer Aufführungspraxis entlassen sind: Die Violine gibt noch Töne von sich, wenn sie im Kasten verschwindet. Eine Gitarre läßt sich außer mit den Fingern auch mit Erbsen, Schnüren und Flaschenreinigern spielen. In einer Werkstatt, die Trommeln herstellt, wird sowieso „Musik gemacht“. Ein Braun-Wecker kann eine Rhythmusmaschine ersetzen.

Weil die Musik überall ist, muß der Film den Musiker auch nicht vorführen wie ein Trophäe. In seiner Abwesenheit wird seine Wahrnehmung an die Tonspur delegiert.

Wenige Einstellungen zeigen den Musiker Fred Frith, von Nicolas Humbert etwas tapsig interviewt, in einem dampfenden chinesischen Imbißzelt sitzen. Hier formuliert Frith, ein voller, dunkler Typ von irgendwie bretonisch anmutender Bodenhaftung, sein Credo: Rockmusik hat er aufgegeben, weil es eine Einbahnstraße der Verständigung ist. Ihn interessiert Musik in der „community“, mit der er buchstäblich in eine Beziehung: „communion“ treten will. So ist Frith ein Reisender in Sachen Weltmusik geworden, ein Prophet der Nischen. Er spielt mit Amerikanern, Japanern, Finnen, Tschechoslowaken. Friths Musik ist weniger Melange, eher Katalysator, teils streng geschrieben, teils völlig improvisiert. Die Macht seiner Bescheidenheit, die Reife und Fülle seines Konzepts, die Komik seiner Experimente transportiert der innovativ geschnittene Film (Gisela Castronari), ohne etwas dazutun zu wollen. Mit Frith werden die Grenzen erkundet — und überschritten.

Friths Statements werden gestützt und unterlaufen durch Beiträge anderer Lieblinge des sogenannten Untergrunds. So erzählt der alte Filmemacher Jonas Mekas die „Theorie vom Schmetterlingsflügel“, die Zentrallegende des kosmischen Zusammenhangs aller Prozesse. Der tönende Schlag, den er mit der flachen Hand auf einer Eisenwand erzeugt, ist demnach bereits „um die Welt gegangen“. Der Photograph Robert Frank — er ersetzt den inzwischen fast unvermeidlich gewordenen Gastauftritt von William S. Burroghs — versichert anläßlich einer ratternden Fahrt in einer New Yorker Hochbahn, das „Gute an Zügen“ sei, daß man sich in ihnen „immer in der Gegenwart“ befinde. Das komplette Gegenbild zum esoterischen Programm liefert der Gitarrist und Bandleader Arto Lindsay, dem die Kamera mit der Penetranz des Mörders folgt und diesen Nuschel-Monolog ablauscht: „It's a kind of lonely business, this. Like cigarette advertising. You never know, if you're gonna die or what.“ Der ansonsten wortkarge Film, auf der Berlinale noch im Original, hat durch die Untertitelung etwas an Wucht eingebüßt — sie ist außerdem unvollständig.

Nachdem die Jazzfilmwelle mit Bruce Webers Hommage an Chet Baker so elegant wie seicht ausgelaufen ist, könnte Step Across The Border als assoziativer — die Filmemacher sagen: improvisierter — Musikfilm einen neuen Impuls geben. Dem Musikfilm der achtziger Jahre, Stop Making Sense, hat der Film von Humbert und Penzel noch etwas voraus: er erschöpft sich nicht in Ekstase. Er knüpft die Fäden mit Leichtigkeit, und wenn er zuende ist, ist das Gewebe geflochten, elastisch und fest zugleich: die Welt nach Frith.

Nicolas Humbert, Werner Penzel: Step Across The Border, Kamera: Oscar Salgado. Musik von und mit: Fred Frith, Iva Bitová, Pavel Fajt, John Zorn, Eitetsu Hayashi. 90 Minuten, Schwarzweiß. Verleih: arsenal/Tübingen. Soundtrack LP und CD: Rec Rec/Zürich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen