■ NOCH 3378 TAGE BIS ZUM JAHR 2000: Der Tod derJahresendflügelpuppe
Nachdem sich die deutschen Pfarrer geweigert haben, ihre Glocken zur deutschen Einheit erklingen zu lassen, sind jetzt die Binnenschiffer eingesprungen. Am 3. Oktober werden auf den deutschen Wasserstraßen die Signalhörner der mutigen Männer erschallen. Pünktlich um 12.00 Uhr mittags sollen sämtliche Schiffe etwa eine Minute lang zum Zeichen der Freude ins Horn stoßen, teilte der Bundesverband der Deutschen Binnenschiffahrt in Duisburg mit. Mit ihrer Tröterei könnten die Kapitäne allerdings Schwierigkeiten bekommen. Zwar sei der Tag der deutschen Einheit kein stiller Feiertag, so daß „leichtere Arbeiten in Gärten“ oder Sportveranstaltungen stattfinden dürften, klärte das bayerische Innenministerium die Bevölkerung auf, nicht erlaubt sind dagegen „öffentlich bemerkbare Arbeiten“, die geeignet sind, die Feiertagsruhe zu beeinträchtigen.
Denn der deutschen Feiertag ist Begräbnistag. Mit der DDR sterben auch einige wunderschöne sozialistische Wortschöpfungen. Aus „Frühjahrsschokoladenhohlkörpern“ werden wieder ordinäre Schokoladenosterhasen und der Weihnachtsengel darf nicht mehr „Jahresendflügelpuppe“ heißen. Die „Sättigungsbeilage“ besteht dann wieder aus gewöhnlichen Kartoffeln, Reis oder Nudeln. Aus den altbekannten „Getränkestützpunkten“ ist so mancherorts schon ein „Bier und Brause für zu Hause“-Laden geworden. Etwas länger wird es wahrscheinlich dauern, aus der „Feuerwehrzwangsanholung“ einen Feueralarmmelder, aus dem „Schraubendreher“ einen Schraubenzieher und aus dem „Handrührling“ einen Schneebesen zu machen. Vorbei auch die Zeiten, in denen die Welt in „nichtsozialistisches Ausland“ und „sozialistische Bruderländer“ eingeteilt wurde.
Damit die DDR-Sprache und die Sprache der Wende („Mauerspecht“, „Trabiklatschen“, „Wendehals“ etc.) nicht einfach aus dem Bewußtsein gelöscht werden, arbeitet eine Forschungsgruppe der Abteilung Lexikologie der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin zusammen mit dem Institut für Deutsche Sprache in Mannheim an einem Wörterbuch der Wende.
Für das morgen schon nicht mehr existierende DDR-Volk heißt es dagegen so schnell wie möglich ein paar Brocken Englisch lernen, damit auch jeder kapiert, wenn ihm die Werbung etwas von einer „body lotion“ vorschwärmt, die für ein gutes „Feeling“ sorgt, wenn man dazu noch das richtige „Make-up“ und den passenden „Eyeliner“ verwendet. Karl Wegmann
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