piwik no script img

Wo kein Antrag ist, ist auch kein Flüchtling

Städte in NRW setzen eigenmächtig Asylrecht außer Kraft/ In Bochum werden Asylanträge einfach nicht mehr entgegengenommen/ Gericht gibt den AsylbewerberInnen recht/ Landesregierung fordert: Rechtswidrige Praxis beenden  ■ Aus Bochum Bettina Markmeyer

Einige Städte in Nordrhein-Westfalen haben damit begonnen, das Asylrecht gegen geltende Gesetze außer Kraft zu setzen. Ausländerämter nehmen Anträge auf Asyl gar nicht erst entgegen. Flüchtlinge werden von Stadt zu Stadt geschickt oder bekommen statt eines Formulars für ihren Asylantrag eine Rückreisekarte in die Hand gedrückt.

Pfarrer, kirchliche MitarbeiterInnen, Flüchtlingsräte oder Angestellte städtischer Verwaltungen kennen das Gerangel um den Asylantrag. Erfahrungsberichte kommen beispielsweise aus Herford und Detmold im östlichen Westfalen, aus Hagen, Duisburg und Bottrop, wo eine achtköpfige kurdische Familie Anfang August die Entgegennahme ihres Asylantrags erklagen mußte. Auch in anderen Städten an Ruhr und Rhein passiert ähnliches. Eindeutige Rechtsverstöße vermischen sich jedoch in der Grauzone der derzeitigen Asylpraxis mit versteckter oder offensichtlicher Beeinflussung der Flüchtlinge oder der Ausnutzung ihrer Not und Unkenntnis. Kontrolliert werden die Aktivitäten städtischer Verwaltungen daher kaum.

Die Stadt Bochum indes gibt es den AntragstellerInnen jetzt schriftlich. In einem der taz vorliegenden Schreiben des Ausländeramtes vom 11. September verweist die Verwaltung zwar auf das Asylverfahrensgesetz, nach dem diejenige Ausländerbehörde den Asylantrag annehmen muß, in deren Bezirk sich die/der AntragstellerIn aufhält. Doch nicht, um es zu befolgen: „Ein Aufenthalt in meinem Bezirk (also im Bochumer Stadtgebiet, die Red.) ist jedoch für Sie (es handelte sich um jugoslawische Flüchtlinge, die Red.) nicht möglich. Die Aufnahmemöglichkeiten für die Stadt Bochum sind restlos erschöpft. Es stehen weder Wohnraum noch Notquartiere zur Verfügung. Auf Beschluß meines Hauses“, so das Schreiben weiter, „werden demnach Asylanträge nicht mehr entgegengenommen.“

Solch behördliches Vorgehen ist illegal. Eine Türkin, deren Asylantrag in Bochum ebenfalls nicht entgegengenommen worden war, wandte sich an das zuständige Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen. Am vergangenen Freitag verpflichteten die Richter die Stadt Bochum per einstweiliger Anordnung, den Asylantrag anzunehmen, „weil ohne eine Entgegennahme und Bearbeitung des Asylantrags über den Asylanspruch der Antragstellerin aus Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes nicht entschieden wird“. Mit anderen Worten: mit ihrer Weigerung, Asylanträge anzunehmen, hebelt eine Behörde das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl selbstherrlich aus. Die Gesetze, so die Richter in der Begründung, seien unmißverständlich: „Die zuständigen Ausländerbehörden sind verpflichtet, jeden Asylantrag entgegenzunehmen. Diese eindeutige Gesetzeslage gestattet es der zuständigen Ausländerbehörde nicht, die Entgegennahme des Asylantrages mit der Begründung abzulehnen, ,die Aufnahmemöglichkeiten‘ der Kommune ,seien restlos erschöpft‘“.

Der Leiter des Bochumer Ausländeramtes, Rainer Pfordt, bestätigte gegenüber der taz die Existenz von „Standardschreiben“ in seinem Amt, mit denen die Annahme von Asylanträgen abgelehnt werde. Allerdings geschehe dies nur in Fällen „wo die Stadt in Unterbringungsverpflichtung kommt“. Für „Fälle, die sich selbst unterbringen können“, so Pfordt über diejenigen Flüchtlinge, die bei Freunden oder zuvor eingereisten Familienmitgliedern unterschlüpfen können, gelte also der Verwaltungsbeschluß nicht. Zum einen ist auch diese Unterscheidung nach dem Gesetz und dem Beschluß des Gelsenkirchener Gerichts unrechtmäßig. Zum anderen geht aus dem anfangs zitierten Bochumer Schreiben keineswegs hervor, daß der Asylantrag der JugoslawInnen entgegengenommen worden wäre, wenn sie selbst — was tatsächlich fast unmöglich ist — eine Unterkunft gefunden hätten. Vielmehr findet sich auf dem Ablehnungsbogen der handschriftliche Vermerk: „Die nächstgelegene Stadt müßte die Bewerber annehmen.“

Eine Täuschung. Suchten die Flüchtlinge beispielsweise in Dortmund um Asyl nach, müßten sie verheimlichen, daß sie sich schon in Bochum aufgehalten haben. Sonst könnten sie nach Bochum zurückgeschickt werden, weil Dortmund mit Recht darauf verwiese, daß Bochum verpflichtet ist, den Asylantrag anzunehmen. Außerdem ist im Absatz 1 des Paragraphen 8, Asylverfahrensgesetz vorgeschrieben, daß ein Flüchtling so schnell wie möglich nach seiner Ankunft Asyl beantragen muß, andernfalls läuft er Gefahr, für unglaubwürdig gehalten zu werden. Das Beispiel zeigt, daß die Praxis längst die politische Demontage des Grundrechts auf Asyl nachvollzogen und die rechtliche vorweggenommen hat.

Die Bochumer Verwaltung konnte sich des Beifalls der KommunalpolitikerInnen gewiß sein. Am 30. August segnete der Bochumer Rat nachträglich die zweifelhafte Verwaltungspraxis ab. Die Stadt Bochum, heißt es in dem von der SPD beantragten Beschluß, „hebt die Ablehnung der Aufnahme neuer Asylbewerber wieder auf, wenn neue Aufnahmekapazitäten geschaffen sind“. Die Grünen protestierten empört. Eine Stadt könne weder die Ablehnung von AsylbewerberInnen beschließen, noch deren Aufnahme an Bedingungen knüpfen. Doch in Bochum weiß man, was man tut. Bereits im März und April dieses Jahres verlor die Stadt in einer Handvoll von Prozessen gegen AsylbewerberInnen, die die Entgegennahme ihrer Anträge erklagt hatten. Gleichwohl fuhr die Verwaltung fort, das Asylrecht auszuhebeln, eine, so ein Sprecher der Stadt, „Verzweiflungstat einer Gemeinde, die sich nicht anders zu helfen weiß, weil Land und Bund nicht reagieren“. Die Landesregierung will nun reagieren. Ein Sprecher: „Die Bochumer Praxis ist rechtswidrig. Wir werden mit der Stadt reden, um sie zu beenden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen