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Gefangene revoltieren für Amnestie

■ Knackis fordern Teilamnestie auch im Westen/ In Detmold sind 30 Gefangene im Hungerstreik

Berlin (taz/ap) — Die Häftlingsrevolten in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Bayern setzten sich auch gestern fort. In der Justizvollzugsanstalt Rheinbach bei Bonn halten auch nach zwei Tagen noch rund 30 von ursprünglich 100 Häftlingen das Dach der Haftanstalt besetzt. Aus Anlaß der deutschen Einheit verlangen sie eine Amnestie. Trotz des kalten Regens in der Nacht zum Donnerstag harrten die Häftlinge aus. Nach Angaben aus Kreisen der Gefangenen werden die Dachbesetzer mit Lebensmitteln und Kleidung unterstützt. Die restlichen Insassen der Haftanstalt erhalten seit zwei Tagen keine Freistunden mehr, berichteten Häftlinge weiter; dies habe zu wachsender Spannung unter den Gefangenen geführt. Gestern morgen richteten die Besetzer nach Informationen aus Rheinbach schwere Dachschäden an. Sie zerstörten auf mehr als 40 Meter Länge den Giebel eines Zellengebäudes, der zur Beleuchtung des Innentraktes der Haftanstalt aus Drahtglas besteht.

In der Justizvollzugsanstalt in Detmold sind seit dem 3.10. nach Angaben eines Gefangenen 30 Inhaftierte in einen Hungerstreik getreten. Sie wollen damit ihrer Forderung nach einer Teilamnestie - wie sie in der DDR auf der letzten Sitzung der Volkskammer beschlossen wurde - unterstreichen. In Hamburg stiegen zehn Gefangene auf das steile Metalldach der Anstalt in Fuhlsbüttel. Sie riefen „Amnestie“ und drohten, 15 Meter in die Tiefe zu springen. Nachdem sie mit Journalisten reden durften, verließen die Meuterer am Dienstag nach 20 Stunden das Dach wieder.

Die revoltierenden Häftlinge in Rheinbach verlangen nach den Worten des Justizsprechers Dieter Wendorff auch eine Pressekonferenz mit Journalisten. In Sachen geforderte Teilamnestie zog sich Wendorff elegant aus der Affaire: Dafür sei der Bundestag zuständig.

In den bayerischen Haftanstalten Bayreuth, Kaisheim bei Donauwörth und Bernau am Chiemsee lärmten in der Nacht zum Donnerstag zwischen 22.00 Uhr und 01.00 Uhr die Gefangenen. Justizsprecher Hans-Peter Huber erklärte, sie hätten gepfiffen und an den Zellentüren getrommelt. Auch in Bayern forderten die Gefangenen eine Amnestie.

Eine am Mittwoch begonnene Dachbesetzung in der hessischen Haftanstalt Darmstadt-Eberstadt ist am Donnerstag morgen mit einem Kompromiß beigelegt worden. Die acht protestierenden Gefangenen gaben sich mit einem ausführlichen Bericht in der Lokalzeitung 'Darmstädter Echo‘ vorerst zufrieden und gingen zurück in ihre Zellen. Nach dem Abbruch ihrer Aktion will die Anstaltsleitung auf eigene Repressalien gegenüber den Dachbesetzern verzichten. Die Besetzer häten „ihr Wort gehalten“. Allerdings handele es sich bei ihrer Aktion um den Straftatbestand der „Meuterei“. Die Staatsanwaltschaft sei verpflichtet, gegen die Gefangenen zu ermitteln.

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