„Mann, ist das hier laut!“

■ 50.000 BesucherInnen bei Mercedes am Tag der offenen Tür

Trotzig, windgepeitscht dreht sich der metallene Stern vor dunklen Wolkenfetzen. Unter ihm in Gelbgrau und Weiß ein Betonimperium: Mercedes Benz. 16.000 Beschäftigte arbeiten hier fast rund um die Uhr, zweimal acht Stunden in Früh-, Spät-und Sonderschichten, viele von ihnen am Fließband. Und auch an diesem Samstag wird wieder in die Hände gespuckt. Sonderschicht ist angesagt am „Tag der offenen Tür“.

Schon auf der Sebaldsbrücker Heerstraße formieren sich lockere Menschenschlangen. Mit Kind und Kegel pilgert man in aufgeräumter Stimmung Richtung Werktor 7. Das dürfen Frau und Mann sich schließlich nicht entgehen lassen.

Erste Station auf dem Gelände: Der Rohbau in Werkhalle 7. Hier wird die Karosserie für den „Baby Benz“ (W 201-190er) und das „Flaggschiff“, den Sportwagen (R 129) hergestellt. Tafeln lüften erste Geheimnisse: Das Knochengerüst der Autos besteht aus 417 bzw. 430 Teilen, die mit insgesamt 4250 und 5750 Schweißpunkten montiert werden.

Punkt 12.00 Uhr geht das Licht an. Die bereits ungeduldig wartenen BesucherInnen, ausgerüstet mit durchsichtigen Plastikbrillen, schieben sich dicht an dicht zwischen die Montagebänder. Kinder versuchen verzweifelt in die Nähe des Fließbandes zu gelangen. Hoch über allen, hinter Schutzgittern, schweben gespenstisch leise Autogerippe in unsichtbaren Bahnen. Dann werden sie von Roboterarmen gegriffen und auf langsam gleitende Förderbänder gesetzt. Gleich macht sich die Sonderschicht an die Arbeit. Mit sicheren Handgriffen befestigen Männer Schrauben und glätten unebene Stellen. „Etwa 300 Handbewegungen sind das in der Stunde“, erklärt der Monteur Thomas Steiwarth. Bereits zehn Jahre arbeitet er im Werk. „Die Arbeit ist eigentlich nicht besonders stressig“, findet er.

Zwischen anderthalb bis zwei Minuten stehen für jedes Rohauto zur Verfügung, das sind 30 vorbeischwebende Karosserien pro Stunde. Welche Teile zu welchem Automodell passen, ermittelt ein Computer am Rande des Bandes.

Zwanzig Meter weiter werden Türen, Motorhauben und Kofferraumklappen eingesetzt. Hier am „Finishband“ arbeitet Ralf Ehlers. Als Blechschlosser hat man ihn vor zwei Jahren eingestellt. Wie ihm die Arbeit gefällt? „Mit der Zeit wird es ziemlich eintönig“, sagt er. „Also, ich bleibe hier höchstens fünf Jahre, dann haue ich ab und mache irgendwo meinen Meister.“ Der Lohn allerdings sei okay, 3200.-Mark Brutto plus Schichtzulage.

Die Menschenmenge drängt weiter, vorbei an meterhoch aufgeschichteten Metalltüren, an 16 funkensprühenden Industrierobotern der „Ausbaustufe drei“ bis zur Qualitätskontrolle. Hier wird statistisches Material für die Verbesserung der Schweißtechnik gesammelt.

Nächste große Station: Die Montagehalle 2. Auf einer Informationstafel erfahren die BesucherInnen, daß hier eine „weltweit einmalige Montagemethode“ zu besichtigen ist. In sternförmiger Anordnung werden an mehreren Wagen gleichzeitig Einzelteile wie Verdeckhydraulik und Kabelsätze des R 129 montiert. Inzwischen hat sich das Menschenknäul entheddert. Kinder springen mit blauen Schirmmützen und Lufballons herum, mercedessternbedruckt. „Man, ist das hier laut“, sagt ein kleines Mädchen in Halle 4 und hält sich die Ohren zu. Beinahe hätte es die viel zu große Plastikbrille verloren. Es steht unmittelbar vor einer automatischen Stanzanlage, die ölige Plättchen vom Fließband auf einen Haufen spuckt.

Aufregend wird es noch einmal in Halle 6, im Preßwerk. Staunend steht eine Gruppe von Jungen und Mädchen vor einer großen Anlage und beobachtet, wie Metallplatten sich sekundenschnell in Kotflügel oder Türen verwandeln. „Die Preßmaschine ist einfach super“, schwärmt eine 12jährige nach dem Rundgang. Aber auch die Erwachsenen sind sichtlich beeindruckt von so viel technischem Fortschritt. „Es ist schon toll, mal genau zu sehen, wie ein Auto langsam zusammengesetzt wird“, meint Sigrid Beussen. Auch ihre Kinder haben sich mit Ballons ausgerüstet.

Inzwischen ist es 15.00 Uhr. Mehr und mehr BesucherInnen streben dem Ausgang entgegen. Um die 50.000 sollen es gewesen sein. Fast alle haben sich mit Mercedesbroschüren, Mercedestaschen, Mercedesmützen und Mercedesluftballons eingedeckt. Als sich die Parkplätze in der Nähe des Werkes langsam leeren, wird für diejenigen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln gekommen sind, die Luft knapp. Dicht an dicht stehen die Fahrzeuge auf der Sebaldsbrücker Heerstraße im Stau. Hoch über ihnen dreht sich unbeeindruckt ohne Pause — der große Metallstern. Birgit Ziegenhagen