: Auf allen Plätzen: Spiel um Raum und Zeit
■ Start beim Wettlauf um die Ostberliner Sportstätten: Kapitalisten wie SEDler wollen sich an der Konkursmasse bedienen
Berlin. In Rosenthal, im Norden Pankows, erinnert nichts daran, daß hier in den 20er Jahren der lärmende Fußballnachwuchs von Hertha BSC über vier Sportplätze tobte. Auf den 6.000 Quadratmetern haben die neuen Anwohner längst den Ball gegen Gartenzwerge, Eimerchen und Schippe eingetauscht. Gepflegte Schrebergärten kleinbürgerlicher Laubenpieper bestimmen das Landschaftsbild in diesem idyliischen »Miljöh« im Berliner Osten. Mit dieser seeligen Ruhe könnte es bald vorbei sein. Hertha BSC, der Club aus dem Wedding, macht, den Zeichen der Zeit folgend, nun Ansprüche auf sein früheres Ausweichquartier geltend.
Schon einmal, im Jahr 1949, ging der heutige Bundesligist in die Offensive — vergeblich: Die damalig deutsche-demokratische Regierung wehrte sämtliche westlichen Regreßansprüche auf enteignetem Grund und Boden rundweg ab.
Nach der Vereinigung stehen die Sterne für die Herthaner weitaus günstiger, obwohl der Verein im Grunde überhaupt nicht weiß, was er mit dem unerwarteten Raumgewinn eigentlich anfangen soll. Doch gemäß einer Verordnung der SED- Nachfolgeregierung vom 11. Juni werden alle Sporteinrichtungen, die sich bislang im Besitz staatlicher Organe oder Betriebe (auch wenn diese mittlerweile in Kapitalgesellschaften umgewandelt wurden) befanden, ihren ursprünglichen Eigentümern zurückgegeben werden.
»Ausgenommen«, so die Verordnung, »sind alle Sporteinrichtungen, die bis zum 1.1.90 und auch danach kommerziell genutzt werden.« Als Alternative zur Enteignung sollten die ihrer Immobilien verlustig gegangenen West-Vereine finanziell entschädigt werden. »Eine finanzielle Abfindung zu einem Bruchteil des heutigen Wertes der Sportstätten ist für die rund zweihundert betroffenen Vereine völlig unakzeptabel«, erklärt Norbert Skowronek, seines Zeichens Direktor des Landessportbundes (LSB).
Des Direktors Ärger ist verständlich. Längst ist der unerbittliche Kampf um die Konkursmasse des maroden Betriebssports der einstigen DDR voll entbrannt. Sportstätten der ehemals volkseigenen Betriebe werden gehandelt wie warme Semmeln oder goldgelbe Broiler. Da buhlt beispielsweise ein westdeutsches Unternehmen um die ruinierte Infrastruktur der Sportabteilung eines Treptower Betriebes, die in ein modern-chromglänzendes Fitneßzentrum nach westlichem Vorbild umgemodelt werden soll.
Vor allem die attraktiven Bootshäuser des verblichenen Kombinats locken kapitalistische Investoren. Vorbehalte seitens der einstigen Betreiber werden durch düstere Zukunftsprognosen vom Tisch gewischt. Es wird vor unbezahlbaren Instandhaltungskosten für die größtenteils veralteten und verrotteten Anlagen gewarnt und mit warmem Geldregen gelockt.
Auch einheimische Investoren aus ehemaligen Parteiorganisationen der SED strecken ihre Arme nach den begehrten Hallen, Stadien und Angelegestellen aus. Gerade die vormalige SED-Jugendorganisation FDJ hat sich in den letzten Tagen ihrer Allmacht mittels fragwürdiger Nutzungsverträge mit ihr nahestehender GmbHs in den Besitz zahlreicher (ehemaliger) Sportstätten gebracht.
Schließlich wollen sich abgehalfterte Funktionäre ein profitables Standbein in der importierten Marktwirtschaft sichern. »So etwas muß unterbunden werden«, fordert Landessportbund-Pressesprecher Dietmar Bothe. Sein Dachverband plädiert dafür, die in ein Strudel wilder Spekulationsgeschäfte geratenen Sporteinrichtungen in bezirkliche Obhut zu überführen oder sie den neu enstandenen privaten Sportvereinen zu überlassen.
Bevor der Ball für Hertha und Co. in ihren einstigen Jagdgründen wieder rollen kann, wird möglicherweise auf die Berliner Gerichte eine Prozeßlawine herabstürzen. Denn Paragraph8 des umstrittenen Erlasses sieht immerhin vor, daß »gegen die Entscheidungen nach dieser Verordnung... Antrag auf Nachprüfung durch das Gericht gestellt werden« kann. Jürgen Schulz
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