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Geträumt war es viel schöner

■ Ernst Kreneks Oper „Jonny spielt auf“ in Leipzig

Nun spielt Jonny den Leipzigern wieder auf. Sechzig Jahre hat er es nicht gedurft, nicht gekonnt, nicht gewollt. Ernst Kreneks „Zeitoper“ von 1927, in Leipzig uraufgeführt, in fast siebzig Städten alsbald nachgespielt, in Prag und Paris ein Erfolg, in Lemberg und Helsinki, Leningrad und Zürich, Odessa und New York, dieses Schlüsselstück der zwanziger Jahre war nach dem kometenhaften Aufstieg bereits abgespielt, als es von den Nazis verdrängt, verfemt und verboten wurde. Nach dem zweiten Weltkrieg versuchte man es hie und da im Westen mit Jonny, in Florenz und Boston, Lund und Leeds, Poznan und zuletzt in Freiburg. Erst jetzt aber ist das frivole Stückchen an den Ort der Uraufführung zurückgekehrt. Krenek, der vor sechs Wochen seinen 90. Geburtstag feierte, erlebt eine neue Erfolgssträhne.

Mit der Jonny-Premiere soll am Leipziger Opernhaus die Zäsur angedeutet werden. Der neue Intendant Udo Zimmermann, ein Senkrechtstarter des DDR-Musikbetriebs, der als Nebentätigkeit auch die Keller- Oper in Jean-Claude Ribers Bonner Repräsentationsbetrieb leitet, will exemplarisch den Weg für die leistungsfähigeren Musiktheater der ehemaligen DDR vorzeichnen: Das Repertoire wird demonstrativ erweitert, die Inszenierungen sollen kontroverser und das Niveau dem „internationalen Standard“ angepaßt werden. Das ganze Klima des Theaters steht vor einer großen Veränderung — der Mief von sechs Jahrzehnten gegängelter Kulturpolitik, die Ausdünstungen der mit den real existierenden Verhältnissen sich akkomodierenden Kleinbürgerlichkeit könnten hinausgelüftet werden.

Mit Lothar Zagrosek verfügt das Leipziger Musiktheater jetzt auch über einen Chefdirigenten, der auf internationalem Parkett wohl erfahren und dem Neuen gegenüber höchst aufgeschlossen ist. Das Gewandhausorchester im Graben ist ohnedies ein weiteres Plus. Doch schon muß man hören, daß der von Ehrgeiz zernagte Intendant und der musikalische Oberleiter nicht allzugut harmonieren: Die totalitäre Ära hat über ihr physisches Ende hinaus die bekannten psychischen Deformationen hinterlassen; die in den Wendeprozessen aufgeschäumte Mißgunst wird noch lange dafür sorgen, daß es im Gebälk der Staats- und Stadttheater in der paralysierten DDR immer wieder kracht. Aber das verspricht ein Moment von Spannung, die weiter westwärts im Theaternormalvollzug leider nur zu oft fehlt.

Hier also, in der Vorgängerin des im Stil der fünfziger Jahre neu erbauten Opernhauses am Karl-Marx- Platz, hatte Jonny vor 63 Jahren die Geister und Gemüter polarisiert — diese irrwitzige Geschichte vom Komponisten Max, der Sängerin Anita, dem Violinvirtuosen Daniello und dem Jazzgeiger Jonny. Krenek kredenzte eine provokative Mixtur aus „spätromantischem“ Sehnsuchtston und sachlichem Neo-Barock, aus Jazz-Anleihen und sanftrosanen Operetten-Häppchen. Die einen waren von dieser Melange begeistert, erkannten in Jonny die Probleme und Bruchlinien ihrer Zeit wieder; für andere war der kritische Punkt überschritten, da die Musik allen Anspruch auf einheitliche Konsistenz und selbst auf ein ernsthafteres Montage-Prinzip aufgegeben hatte, auf eine Linie in der Gemengelage der heterogenen Stile. In der Tat ist bei Jonny in keiner Weise erreicht, was Kurt Weill auf dem Weg von seinen frühen Einaktern zu Mahagonny und der Dreigroschenoper gelang: die Unverwechselbarkeit des Tons, die Vereinheitlichung des Amalgams der Versatzstücke aus Historischem und Kontemporärem.

Die deutsche Rechte sah im Vordringen eines solchen Werks eine „barbarische Invasion“. Besonders erregte die Herrenmenschen, daß da vom Schluß der Oper der „Neger“ Jonny in die Höhe gehoben wird und den verlockendsten Ton aus „seiner“ (gestohlenen) Violine zaubert, daß die „weiße Rasse“ aber ihm zu Füßen zur Jazzmusik tanzt — das, so lautete dann alsbald der Ruf, gehöre verboten. Es wurde verboten, blieb in Leipzig und Umgebung bis 1990 tabu.

Kürzlich taute ein Arm aus einem Alpengletscher auf. Als man nachsah, fand sich auch der Rest des Ehepaars Schmitz aus Köln, das vor einem Viertel Jahrhundert abgestürzt und tiefgefroren war. Solcher Tod und seine Folgen bleiben Kreneks Komponisten Max erspart, obwohl er ihn herbeisehnt und herbeisingt. Nach alledem: nach seinem Weggang aus der hektischen Geschäftigkeit des Kultur- und Gesellschaftsbetriebs in die reinen Höhen der Bergwelt (man sieht das in Leipzig als leicht schräge Ebene mit fünf überdimensionalen Bergkristallen); nach der Begegnung mit Anita, der heftigen Liebe, der Normalisierung, der Sublimierung; nach Anitas Erfolg mit einer neuen Oper von Max in Paris; einem Triumph, an dem der Schöpfer des Werkes nicht teilnimmt, den Anita jedoch mit Daniello im Bett auskostet. Dem Geiger aber wird in besagter Nacht seine kostbare Amati entwendet — vom Jazzgeiger Jonny, der sich beim Stubenmädchen Yvonne mit der raschen Lust auch gleich noch die Schlüssel holt.

Der Rest der Geschichte geht weiter quer durch Europa, zeigt nostalgische Bahnhofsbilder und ein Einsatzkommando der Polizei als eine Art Baseballmannschaft. Und wenn der Gletscher singt — mit Frauenzungen natürlich — der Berg dem Selbstmordgedanken sein entschiedenes Nein entgegenruft, dann zeigen sich wieder die Bergkristalle, die aussehen wie Kunst am Bau. Überhaupt hat man sich da mit der Inszenierung von Uwe Wand die Chance entgehen lassen, die „Zeitoper“ der zwanziger Jahre auf gewitzte Weise in die Wende- und Übergangszeit des Jahres 1990 zu transportieren.

Das mag der Linie des Intendanten Udo Zimmermann entsprechen, der ja schon in den letzten Jahren einer Theaterarbeit zuneigte, die es der CDU in Bonn recht zu machen trachtete und die auf das Sponsoring durch die Firma Philips setzt. Philips zahlt nur für gediegen Konservatives oder entschärfte Moderne (das ist man dem Firmenprofil schuldig).

Gesungen wurde in Leipzig eher mäßig. Der Hund im Körbchen aber machte seine Sache gut. „Ich habe geschlafen“, singt Kreneks Max, und er könnte das ganze Leipziger Theater gemeint haben; „habe geschlafen und habe geträumt — geträumt war es viel schöner.“ Geträumt haben wir auch davon, daß es in Leipzig einen Neuanfang gibt und nicht gleich wieder vorauseilenden Gehorsam gegenüber den möglichen Landesvätern des Oktober und den Sponsoren des Jahres 1991. Geträumt also von einer Inszenierung, die das Spießerbewußtsein aufwirbelt und die Stadt polarisiert, indem ihr heimgegeigt wird, welche Unannehmlichkeiten künstlerisch Neues mit sich bringt.

Doch nichts dergleichen. Da nützen auch einige vom Schnürboden gelassene Transparente und Schriftbänder nicht mehr viel, die zum Schlußbild von Jonny den Weg ins unbekannte Land der Freiheit zu begleiten versprechen. Frieder Reininghaus

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