: BKA will es nicht gewesen sein
■ Bundeskriminalamt distanziert sich von Einsatz im Stasi-Archiv/ Ehemaliger Stasi-Kontrolleur vermutet Interesse an Akten über Bonner Politiker und Wirtschaftsbosse in der Normannenstraße
Berlin (taz) — Keiner will etwas mit den nächtlichen Umtrieben in der früheren Berliner Stasi-Zentrale zu tun haben. Unisono beteuerten gestern das Bundeskriminalamt, die Generalbundesanwaltschaft und die Berliner Polizei, nichts — aber auch gar nichts — über die undurchsichtigen Vorgänge im Archiv der Staatssicherheit sagen zu können.
Wie gemeldet, hatten am Wochenende Mitglieder der Mahnwache vor der früheren Stasi-Zentrale Alarm geschlagen und berichtet, Mitarbeiter des BKA seien ins Stasi- Archiv eingedrungen und hätten dort die Akten gesichtet.
Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zog gestern ihre erste Version der Vorgänge zurück, wonach Mitarbeiter des BKA am Wochenende im Haus 8 der früheren Stasi-Zentrale im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen Honecker und Mielke Akten ausgewertet hätten. Das Wiesbadener BKA hatte erst eine Durchsuchung der Stasi-Zentrale im Auftrag der Bundesanwaltschaft bestätigt — gestern wurden die gleichen Meldungen als „Ente“ zurückgewiesen. Offen bleibt, wen denn nun die Mitglieder der Mahnwache bei ihrem nächtlichen Treiben überrascht haben. Die Gestellten selbst hatten — nachdem die zuvor abgewiesenen Stasi-Kontrolleure die Polizei verständigten — Ausweise der Volkspolizei gezückt und dem Berliner Magistratsbeauftragten zur Stasi-Auflösung, Werner Fischer, erklärt, im BKA-Auftrag tätig zu sein. Ein solcher Auftrag wurde gestern in Wiesbaden kategorisch dementiert. BKA- Sprecher Jaufmann bezweifelte nach Rücksprache in seiner Behörde sogar, daß sich Angehörige der früheren Volkspolizei in dem Gebäude aufgehalten hätten.
Hans Schwenke, Mitglied der Operativ-Gruppe beim staatlichen Komitee zur Stasi-Auflösung, vermutete dagegen gegenüber der taz einen Zusammenhang der nächtlichen Aktion zu den kürzlich in der Stasi- Zentrale angelieferten Akten des Auslandsspionagedienstes „Hauptverwaltung Aufklärung“ (HVA). In den „Quellenakten“ der HVA befinden sich unter anderem auch brisante Dossiers über führende Bundespolitiker, Wirtschaftsbosse und nicht zuletzt die Protokolle von abgehörten Telefonaten der bundesdeutschen Verfassungsschützer. Recherchen des Sonderausschusses zu diesen Akten, an denen auch Schwenke beteiligt war, liefen ins Leere.
BKA-Hausdurchsuchung
Schwenke, der im Frühjahr bei der Auslagerung der Unterlagen mit „Sicherheitsstufe1“ in das HVA-Gebäude in der Roedernstraße dabei war, wollte gemeinsam mit dem Ausschußmitglied Szkibik am 1. Oktober die Vollständigkeit der Akten überprüfen. Anlaß war die Übergabe des HVA-Gebäudes in der Roedernstraße an das Auflösungskomitee. Der Zutritt wurde beiden verwehrt und ihnen mitgeteilt, daß die Akten längst wieder in der Stasi-Zentrale lagerten. Komitee-Mitarbeiter Schwenke: „Das Archiv ist wie ein Selbstbedienungsladen.“ Ob nun das BKA die peinlichen Akten sichtet oder gar der frühere Leiter des Staatlichen Auflösungskomitees, Günther Eichhorn, die Dossiers für künftige Erpressungsversuche zur Seite schaffte — ihm scheint alles möglich.
Wer Herr im Hause der früheren Staatssicherheit ist, demonstrierte die Bundesanwaltschaft bereits am Tag der deutschen Einheit: Am 3.Oktober durchsuchten Beamte der Karlsruher Behörde Schulter an Schulter mit der Elitetruppe GSG 9 eine Wohnung in der Nähe der Stasi- Zentrale.
Gefahndet wurde nach „einer MfS-Leitstelle“, die verdeckt im Untergrund daran arbeite, den Auflösungsprozeß des Auslandsspionagedienstes zu hintertreiben. Ein entsprechender Einsatz im Büro des HVA-Obersten Bernd Fischer wurde gestern auch vom früheren Sonderausschuß zur Stasi-Auflösung bestätigt.
Hintergrund dürfte der Versuch ehemaliger hochrangiger HVA-Angehöriger sein, Mitarbeiter des Geheimdienstes an Aussagen über ihre früheren Tätigkeiten zu hindern. Der Verdacht auf eine verdeckte „MfS- Leitstelle“ konnte nach Angaben der Bundsanwaltschaft aber nicht erhärtet werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen