: „Ich bin nicht müde!“
■ Felicia Langer, jüdische Anwältin, die 23 Jahre lang Palästinenser verteidigte, erhält den alternativen Nobelpreis/ „Ich hoffe, man hört meine Stimme im Ausland lauter“ INTERVIEW
taz: Was sagen Sie dazu, daß Ihnen dieser Preis verliehen wird?
Felicia Langer: Ich bin natürlich froh über die Nachricht, aber auch sehr traurig über die tragischen Ereignissen in Israel und den besetzten Gebieten. Für mich ist das wie ein Symbol, daß die Weltöffentlichkeit und das öffentliche Bewußtsein jetzt versteht, daß das palästinensische Schicksal und die palästinensische Tragödie auf der Tagesordnung der Welt stehen muß. Und es ist auch symbolisch, daß die Nachricht über die Preisverleihung heute, zwei Tage nach dem Blutbad von Jerusalem, bekanntwurde.
Warum haben Sie Israel verlassen und sind nach Tübingen gegangen?
Ich habe die Palästinenser 23 Jahre lang verteidigt. Aber ich habe sehr gut verstanden, daß ich unter diesen Verhältnissen, in der Intifada und der sogenannten israelischen Justiz, nicht zu meiner Arbeit und zu meinen Mandanten zurückgehen kann.
Früher war das anders, da gab es auch Zeiten, als ich das Gefühl hatte, ich sei so etwas wie ein Rufer in der Wüste, aber ich habe doch noch manchmal Erfolge gehabt. Mal habe ich doch die Folterungen gestoppt, den Müttern geholfen, den Kindern. Aber in letzter Zeit habe ich das Gefühl gehabt, ich kann nichts mehr machen.
Und was habe ich dann getan? Ich habe mein Büro öffentlich und demonstrativ geschlossen. Das war mein „Ich klage an!“ gegen den Zustand der israelischen Justiz. Und es ist auch eine Botschaft, daß die Palästinenser in Israel keinen Schutz, keine Verteidigung haben, und daß eine internationale politische oder andere Kraft sich für sie einsetzen muß. Und es ist auch sicher, daß es eine Lösung geben muß für die palästinensische Tragödie, die auch unsere, die israelische, jüdische Tragödie ist. Es muß neben Israel einen palästinensischen Staat geben. Es muß eine Zwei-Staaten-Lösung geben. Zwei Staaten und zwei Völker, einen anderen Ausweg gibt es nicht. Sonst werden sich Blutbäder wie das vor zwei Tagen immer wiederholen.
Glauben Sie, daß Ihre Stimme aus Deutschland lauter zu hören sein wird?
Man hört uns im Ausland. Es ist kein Zufall, daß ich heute hier schon sehr viel angerufen worden bin, aber kein einziges Mal aus Israel. Dort wird geschwiegen. Ich habe einen Traum — die Besatzung zu beenden und den Frieden mit den Palästinensern zu machen, und einmal in Israel als normales Volk zu leben. Ich glaube, daß ohne internationalen Druck, ohne Europa und die USA, der Status quo in Israel bestehen bleibt, sonst ändert sich nichts. Denn unsere Regierung und unsere Behörden sind hart wie Stein.
Sie wollen aber in den nächsten Jahren wieder nach Israel zurückkehren?
Ja, das will ich ganz sicher. Jetzt habe ich für zwei Semester einen Lehrauftrag an der Universität Bremen. Ich bin auch in die Vereinigten Staaten eingeladen. Ich hoffe, daß ich so etwas bewirken kann. Ich bin nicht müde, ich habe mein Büro nicht geschlossen, weil ich müde bin! Ich hoffe, daß man nun meine Stimme lauter hören wird, und ich denke, dabei wird mir dieser Preis auch helfen. Interview: Jutta Lietsch
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